Es ist wieder an der Zeit, in radioaktiver Glückseligkeit zu versinken! Nach vielen Jahren ist mit Fallout 4 der nächste Ableger der postapokalpytischen Rollenspiel-Reihe erschienen und wir verraten euch, ob er dem Hype gerecht werden kann.
Ein ganz normaler Tag, kurz vor Halloween 2077. Doch plötzlich ruft uns der Hausroboter ins Wohnzimmer, wo der Nachrichtensprecher von atomaren Angriffen im ganzen Land spricht. Gut, dass wir uns kurz vorher für das Vault-Programm angemeldet haben. Im allgemeinen Chaos flüchten wir in Richtung Bunkereingang, einige Menschen werden von den schwer bewaffneten Wachen zurückgehalten. Wir können uns doch im letzten Moment in Vault 111 retten, nur um 200 Jahre später wieder das Licht der inzwischen zerstörten Welt zu erblicken.
So beginnt Fallout 4. Der Einstieg ist wesentlich besser inszeniert als die doch eher langweilige Rekonstruktion aus Fallout: New Vegas. Durch die dynamische Charaktererstellung bindet man sich schnell an die Spielfigur und erlebt einen kurzen Einblick in das perfekte Leben vor dem großen Krieg. Warum wir 200 Jahre später noch leben, soll hier nicht verraten werden. An Fallout 3 kommt dieser Einstieg jedoch nicht heran. Es fehlt trotz Vorgeschichte der Tiefgang, den der Vorgänger zu bieten hatte. Dennoch waren die ersten Minuten für mich pure Gänsehaut. Aber auch sonst hat der neueste Ableger der postapokalyptischen Rollenspielreihe einiges zu bieten.
Im Ödland (fast) nichts neues – Die Spielwelt
Bethesda weiß einfach, wie eine stimmige Welt gestaltet sein muss. Daran hat sich auch in diesem Fallout-Teil nichts geändert. Wobei, ganz richtig ist die Aussage, es gäbe nichts neues, dann doch nicht. Bethesda hat einige längst überfällige Details eingearbeitet, die aber teilweise große Auswirkungen auf das Spielgefühl haben.
Doch zunächst einmal zur Spielwelt an sich, diese ist nämlich absolut sehenswert. Von weiten Hügellandschaften über Sümpfe bis hin zu dem Großraum von Boston, wieder einmal könnte die Welt kaum abwechslungsreicher gestaltet sein. Und gerade die Ruinen von Boston sind eine Augenweide. Die Welt fühlt sich lebendiger an als die von Fallout 3. Was auch an der ersten Neuerung liegen könnte: Die Welt ist deutlich offener gestaltet. Es ist nicht mehr nötig, verängstigt durch U-Bahntunnel zu schleichen, um andere Punkte zu erreichen. Nicht, dass es keine Tunnel mehr gäbe, aber die künstlichen Barrieren wurden deutlich reduziert. Dazu kommt, dass es deutlich mehr Möglichkeiten gibt, auf vertikaler Ebene unterwegs zu sein. Es gibt Aufzüge und Gerüste, die auf Häuserdächer oder in höhere Stockwerke führen.So lassen sich tolle Aussichten genießen und der Häuserkampf mit Raidern und Supermutanten hat in Dynamik und Spannung ordentlich zugelegt. Dazu jedoch später mehr. Überall gibt es Geheimnisse zu entdecken und schnell habe ich mich in das bekannte Open-World-Problem verstrickt: Eigentlich will ich nur von A nach B laufen. Mehrere Stunden später finde ich mich dann am anderen Ende der Karte wieder. Die Storyline dient nur als Gerüst, die eigentliche Geschichte schreibe ich. Dafür gibt es genug Ansätze, die lustig, traurig oder einfach nur schräg sein können.
Für mich ist die Spielwelt von Fallout 4 rundum gelungen. Die Braun-und Grautöne von Fallout 3 oder die beige Einöde von New Vegas passten zwar zum Szenario, waren jedoch manchmal recht eintönig. Die Farbpalette im neuesten Teil bietet mehr Abwechslung, ohne aufdringlich zu wirken. Dazu trägt auch eine weitere Neuerung bei, die für mich atmosphärisch zu den wichtigsten gehört: Das dynamische Wettersystem. Selten habe ich mich so über Regen in einem Spiel gefreut wie hier. Warum in den Vorgängern immer nur die Sonne schien (bzw. der Himmel grau blieb), erschließt sich mir bis heute nicht, hatte doch bereits The Elder Scrolls IV: Oblivion wechselnde Wetterbedingungen. Und auch wenn ein solches Feature im Jahre 2015 eigentlich nichts besonderes mehr ist, muss es erwähnt werden, da es die Atmosphäre extrem verbessert.
Vorwärts in die Vergangenheit – die Technik
So stimmig und schön die Welt ist, zeitgemäß ist die Creation-Engine, auf der das Spiel aufbaut, nicht mehr. Seit Erscheinen des Ankündigungstrailers wurde viel über die veraltete Optik von Fallout 4 diskutiert. Und ich frage mich: Warum? Natürlich entwickeln sich Spiele technisch stetig weiter und The Witcher 3 setzte Maßstäbe in vielerlei Hinsicht. Aber eigentlich sollte doch seit langem bekannt sein, dass Bethesda-Spiele grundsätzlich technisch ein wenig hinterhinken. Das mag Grafik-EnthusiastInnen stören und auch ich finde matschige Texturen oder hölzerne Animationen nicht schön. Aber Fallout lebt nicht von seiner Grafik, sondern von seinen Möglichkeiten. Und ein weiterer Aspekt darf nicht vergessen werden: Mods! The Elder Scrolls V: Skyrim war ein Fest für ModderInnen und ich habe Stunden damit verbracht, mein Spiel auf meine Bedürfnisse anzupassen und die Optik immens zu verbessern.
Bei Bethesda schreiben SpielerInnen nicht nur ihre eigene Geschichte, sie designen auch den Buchumschlag.
Tolle Gefechte, Minecraft und Steuerungsprobleme– das Gameplay
Die größten Änderungen von Fallout 4 finden sich eindeutig im Gameplay wieder. In allen relevanten Bereichen gibt es Neuerungen, vor allem das Kampf- und Craftingsystem stechen heraus. Ersteres fühlt sich deutlich griffiger und dynamischer an als in den Vorgängern. Alles geht schneller, der Kampf erfolgt, wie bereits erwähnt, auf verschiedenen Ebenen und die Gegner agieren deutlich cleverer als in den vorherigen Teilen. Häufig sah ich mich mit einer Übermacht von Gegnern konfrontiert, die mich von allen Seiten unter Feuern nahmen und Granaten nutzten, um mich aus der Deckung zu treiben. Ebenso häufig habe ich den Spieß aber umgedreht und ein Raider-Camp von einem Dach mit einem Scharfschützengewehr in Angst und Schrecken versetzt. Verschiedene Gegnertypen erlauben verschiedene Taktiken und so bietet das Spiel deutlich mehr Abwechslung als die Vorgänger. Hier hat Fallout 4 einen großen Schritt nach vorne gemacht, wozu auch das umfangreiche Waffen-und Rüstungscrafting beiträgt. Jedes Schrottteil, das sich in der Welt finden lässt, ist brauchbar, so dass ich ständig mit Teddybären und Klebertuben überladen war. Jede Waffe, jede Rüstung lässt sich optimal auf eine Aufgabe anpassen. Mehr Tragekapazität? Gibt es eine Anpassung für. Das Scharfschützengewehr soll schallgedämpft sein und meine Rüstung weniger Lärm produzieren? Kein Problem. Und vor allem die Powerrüstung ist hochmotivierend, denn auch sie lässt sich spezifisch auf Einsatzzwecke anpassen und ist deutlich effektiver als noch in Fallout 3 oder New Vegas. Es fühlt sich nun wirklich so an, als wäre ich ein Ein-Mann-Panzer.
Eine weitere Neuerung ist das Siedlungssystem. Es gibt verschiedene Punkte auf der Karte, die ich zu Siedlungen ausbauen kann. Es lassen sich eigene Häuser errichten, Händler ansiedeln, Verteidigungen errichten und eine Grundversorgung schaffen. Wenn für alles gesorgt ist, kommen mehr und mehr Siedler aus dem Ödland und lassen sich dort nieder. An sich ist dieses System großartig, ich könnte Stunden damit verbringen, mein eigenes Haus zu bauen und für eine bessere Verteidgung zu sorgen. Es gibt unzählige Möglichkeiten und eigentlich ist dieser Bereich schon ein Spiel für sich. Wenn dann Creeper…ähm, Ghule meine Siedlung angreifen und meine Verteidigungsanlagen sie zerlegen, fühlt es sich geradezu wie Minecraft an.
Die ganze Mechanik leider allerdings, wie der Rest des Spiels auch, unter einer furchtbaren Steuerung. Alles fühlt sich kompliziert an und ist mit unlogischen Tastaturbelegungen versehen. Die Optimierung für Konsolen ist in dieser Hinsicht kaum zu übersehen. Nicht nur das Crafting, auch die Menüführung im Pip-Boy leidet darunter. Nach einiger Zeit habe ich mich einigermaßen mit diesem Problem arrangiert. Das Spiel ist auf jeden Fall auch mit Maus und Tastatur akzeptabel, aber es gibt immer wieder mal Frustmomente, wenn ich mal wieder die falsche Taste gedrückt habe und so ein Item entfernt habe, anstatt es zu bauen. Ich hoffe aber noch auf Mods, die diese Probleme in Angriff nehmen.
Gut gelungen sind hingegen in meinen Augen die Begleiter. Auch wenn die Steuerung hier auch nicht gerade Freudensprünge auslöst, sind sie ein wertvoller Aspekt des Spiels. Neben dem aus dem Trailer bekannten Hund Dogmeat es noch verschiedene weitere menschliche und nicht-menschliche Weggefährten, die alle unterschiedliche Stärken haben. Allerdings kann der Spieler immer nur einen Begleiter auf einmal mitnehmen. Das ist allerdings völlig in Ordnung, denn wer mit Powerrüstung und Dogmeat durch die Gegend streift, ist schon eine ernstzunehmende Bedrohung. Mehr als ein Begleiter auf einmal würde das Spiel bisweilen zu einfach machen.
Fallout. Fallout bleibt immer gut.
Fallout 4 ist wieder mal ein großartiges Spiel geworden. Man merkt Bethesda einfach an, dass sie es können. Sieht man von der veralteten Technik ab, steckt das Spiel voller Innovationen und spannender Momente, die für Langzeitmotivation sorgen. Ich werde wieder viele Stunden mit völlig ziellosem Erkunden verbringen, Geheimnisse entdecken, über Anekdoten schmunzeln und panisch vor Todeskrallen weglaufen, bevor das Spiel anfängt, seinen Reiz zu verlieren. Einzig das Questdesign ist etwas einfallslos und kann nicht immer motivieren. Doch dafür gibt es sicherlich schon bald Mods und dank der vielen Freiheiten leidet das Spiel nicht zu sehr unter diesem Mangel. Krieg mag immer gleich bleiben, doch wir erleben ihn in jedem Fallout – Teil neu.
Fallout 4
Plattform: PC (Steam), Playstation 4, XboxOne
Entwickler: Bethesda Game Studios
Publisher: Bethesda Softworks
Bereits erschienen (10. 11. 2015)