Prey: Innovationsstern am Shooterhimmel

(© Playstation.com)

Modernen Spielen fehlt es häufig an frischen Ideen. Zu gerne wird sich auf Bewährtes verlassen, zu selten Wagnisse eingegangen. Prey hingegen hat sich an den besten Konzepten der letzten Jahre bedient und liefert eine der angenehmsten Gaming-Überraschungen seit langem. Hier erfahrt ihr, was das Spiel von seiner Konkurrenz so positiv abhebt.

Zischend öffnet sich die Tür zu den Laboren. Sofort erblicke ich undefinierbare Schattenwesen, die blitzartig in den Ecken des Raumes verschwinden. Die Schrotflinte im Anschlag schleiche ich mich langsam vorwärts. Von den merkwürdigen Kreaturen ist nichts zu sehen. Plötzlich materialisiert sich in meinem Augenwinkel eine von ihnen und greift mich unvermittelt an. Wie konnte ich sie übersehen? Eben lag da doch nur ein Mülleimer? Aber zum Glück haben auch Aliens eine Schrotallergie, die mir die Lösung des Problems erleichtert. Doch auch der nächste Raum kann jede Menge unangenehme Überraschungen mit sich bringen.

Jetzt keine lauten Geräusche machen. (Eigener Screenshot)

So ließen sich viele Momente in Prey beschreiben. Ein allgegenwärtiges Gefühls-Potpourri aus Unsicherheit, Paranoia, Ehrgeiz und Neugierde. Arkane Studios neuestes Werk vereint Elemente aus Shootern, RPGs und Survial Horror zu einem wunderbar runden Gesamtprodukt, dass aus der Masse hervorsticht. Einerseits, weil es vom Spieler endlich wieder etwas mehr abverlangt als nur Checkpoints abzulaufen, andererseits, weil es diesen Anspruch mit einer hervorragenden Atmosphäre ergänzt. Und auch die Story trägt positiv zum Gesamtbild bei. Von allen Elementen des Spiels ist sie allerdings das Schwächste, ohne dabei jedoch schlecht zu sein. Doch sie soll nicht unerwähnt bleiben, denn auch hier gibt es einige Überraschungen.

Hier stimmt doch was nicht…

Wir befinden uns im Jahre 2032 einer alternativen Zeitlinie, in der Kennedy nie ermordet wurde. Dieser sorgte für eine starke finanzielle Unterstützung der Raumfahrt, aus der die Talos-1 entstand, eine gigantische Raumstation. Weiterhin ist die Menschheit mit der außerirdischen Typhon-Rasse in Kontakt gekommen. Auf Talos-1 wurden Experimente durchgeführt, bei denen die DNA von Menschen und diesen Aliens kombiniert werden sollte. Doch dieser Plan misslingt in allen Belangen. Klingt nach einer generischen „Wissenschaftler-sind-zu-weit-gegangen“-Storyline. Doch so einfach ist es nicht. Wir wissen am Anfang quasi nichts und müssen uns durch sorgfältiges Sammeln von Hinweisen informieren. Ständig nagt an uns die Vermutung, dass wir nicht alle Hintergründe kennen und irgendetwas ganz und gar nicht stimmt. Immer wieder bekommen wir von verschiedenen Fraktionen Hinweise und Aufforderungen für unsere nächsten Schritte.

Auf Talos-1 steht die Welt Kopf – hier ist wohl einiges schiefgelaufen. (Eigener Screenshot)

Abhängig davon, für wen wir uns entscheiden, verändert sich das Ende des Spiels. Und da es sich bei Prey nicht um einen linearen Shooter handelt, gibt es viele Nebenaufgaben, die wir teilweise nur durch das Lesen von E-Mails erhalten. Sie klären uns weiter über die Hintergründe der Story auf, bringen uns wichtigen Loot oder erschließen neue Areale. Dabei können diese Nebenaufgaben durchaus recht umfangreich sein und uns durch mehrere Abschnitte von Talos-1 schicken, selbst wenn es nur darum geht, eine Keycard zu finden.

Die Story schafft es also, den Spieler zu motivieren und eine äußerst solide Basis für die Spielmechanik zu etablieren. Zu dieser trägt allerdings in einem großen Maße auch die Atmosphäre bei. Die Charaktere bleiben jedoch häufig blass und hinter der an sich sehr soliden Storyline zurück.

Deus Ex: Rapture Edition mit einer Prise Alien

Ich gebe zu, ganz eigenständig ist das Design von Prey nicht. So erinnert die Spielwelt mit ihrer Art Deco-Architektur stark an Bioshock, die Science-Fiction Elemente hingegen lassen Assoziationen mit Deus Ex und Alien: Isolation aufkommen. Doch diese Mischung entwickelt eine hervorragende Eigendynamik. In manchen Momenten staunen wir über die Großartigkeit von Talos-1 und fühlen uns angesteckt vom Entdeckergeist der Menschheit.  Hier sollte offensichtlich etwas Großartiges passieren. In diese Stimmung passt auch das wirklich traumhafte Intro. Dieses möchte ich an dieser Stelle nicht spoilern, jeder sollte es für sich selbst erfahren. Nur so viel: Der Spieler bekommt das Gefühl, Teil einer atemberaubenden und weltverändernden Sache zu sein.

Am Anfang scheint noch alles perfekt… (Eigener Screenshot)
In der Lobby von Talos-1 zeigt sich jedoch schnell, dass der Scheint trügt. Gut sichtbar sind hier auch die Anleihen aus den Bioshock-Spielen (Eigener Screenshot)

Zusammen mit dem großartigen Synthwave-Soundtrack von Mick Gordon, der auch schon für den Soundtrack von Doom verantwortlich war, kommt geradezu Pioniergeist auf. Doch dann passiert das, was ich Prey hoch anrechne: Ein plötzlicher Stimmungswechsel. Musik, Umgebung und Story sorgen für ein ständiges Wechselbad der Gefühle, in dem sich Humor, Schockmomente, Spannung und Neugierde abrupt abwechseln können. Ein weiteres Merkmal, dass diesen Umstand fördert, ist die spielerische Freiheit. Talos-1 ist ein riesiger, offener Spielplatz, den wir uns auf unsere ganz eigene Art und Weise erschließen können. Auch wenn nicht alles von Anfang an frei begehbar ist, lassen sich mit aufmerksamen Auge schon früh viele Möglichkeiten entdecken. Und so können wir Rätseln auf die Spur kommen, indem wir durch Lüftungsschächte kriechen (Alien: Isolation lässt grüßen) und generell vorsichtig und taktisch agieren. Alternativ versuchen wir es mit brutaler Kraft. Und ab und zu unternehmen wir sogar großartige Weltraumspaziergänge.

Auch außerhalb der Station gibt es Dinge zu entdecken. Und wenn es nur der fantastische Ausblick ist. (Eigener Screenshot)

In beiden Fällen weiß man als Spieler nie, was einen erwartet, denn die Typhon spawnen unsystematisch und treten in den verschiedensten Variationen auf. Ist ein Areal einmal durchquert, kann beim nächsten Besuch die ein oder andere Überraschung warten. Die Unvorhersehbarkeit dieses Verhaltens macht einen wichtigen Teil der Spannung aus. Und wenn es dann in der Story um Themen wie die Optimierung des Menschen durch Alien-DNA oder Forschungsethik geht, fühlt man sich unweigerlich im positiven Sinne an Deus Ex erinnert. Die Mischung aus Horror, Science-Fiction und frischen, eigenen Einklängen liefert genau den richtigen Rahmen für den Entdeckergeist des Spielers und sorgt zusammen mit der Story für ein gutes Maß an Motivation. Doch wie spielt sich Prey? Denn selbst die beste Atmosphäre rettet ein langweiliges Spielprinzip nicht. Doch keine Sorge, auch hier kann Prey überzeugen

Recycling-Simulator 2032

Prey ist ein Shooter/RPG-Hybrid. Wir können eine Vielzahl an verschiedenen Waffen und Gerätschaften nutzen, um uns unseren Weg durch Talos-1 zu bahnen. Dabei haben wir neben klassischen Gerätschaften wie der Schrotflinte auch einige äußerst ungewöhnliche Werkzeuge dabei. Da wäre zunächst die GLOO-Gun, eine Art Bauschaum-Gewehr. Mit diesem können wir Treppen bauen, Lecks verschließen und Gegner kurzfristig versteinern. Ein herrliches Spielzeug, das einem in vielen Situation den entscheidenden Vorteil gibt.

Dieser Mimic hat keine Chance gegen die GLOO-Gun und wird gleich Bekanntschaft mit unserem Schraubenschlüssel machen. (Eigener Screenshot)

Weiterhin gibt es die Recycler-Charge. Dabei handelt es sich um eine Granate, die Gegner und Gegenstände in wichtige Rohstoffe verwandelt. Diese sind überlebenswichtig, dazu jedoch gleich noch mehr. Mein Favorit ist jedoch die Nerf-Armbrust. Sie richtet  keinen Schaden an, mit ihr lassen sich jedoch Computerterminals und Knöpfe in verschlossenen Räumen bedienen. Ich habe mir so schon das ein oder andere Mal neue Wege ersch(l)ossen.

Doch wir sind keineswegs ein waffenstrotzender Superheld. Prey ist ein wirklich schweres Spiel, dass uns selbst auf den unteren Schwierigkeitsgraden eine Menge abverlangt. Die Gegner sind vielseitig und weisen alle unterschiedliche Stärken und Schwächen auf, die wir kennen und nutzen müssen. Die kleinen Mimics können sich beispielsweise wie bereits angedeutet in Gegenstände im Raum verwandeln und uns so aus dem Hinterhalt angreifen. Andere Typhons können ätzende Flüssigkeiten absondern oder die Geschütztürme übernehmen. Weiterhin herrscht häufig Knappheit. Wir haben nicht immer eine großzügige Menge an Munition bei uns, sondern müssen sie mühsam finden oder aus Schrott und Müll recyceln, den wir in der Welt finden.

Insgesamt ist das Spiel jedoch manchmal weniger Survival-lastig, als die ersten Ankündigungen auf der Gamescom 2016 es vermuten ließen. Wir können uns nicht wie verrückt durch Alienhorden schießen und müssen uns auch bei starken Gegner manchmal verstecken oder zurückziehen. Allerdings wird man durch die Nutzung von Chip-Implantaten und sogenannten Neuromods im Spiel zunehmend stärker, was einem zunehmend offensive Taktiken erlaubt. Ich hätte mir ein wenig mehr Unterlegenheit gewünscht, an sich ist das Spiel dadurch aber keineswegs zu langweilig oder gar zu leicht. Und wie bereits angedeutet, sind Waffen nicht unser einziges Hilfsmittel. Vielmehr können (und müssen) wir Crafting betreiben, um uns Medikits, Munition und andere Dinge herzustellen. Dazu brauchen wir jedoch Ressourcen. Und diese werden aus Schrott gewonnen, den wir durch den Recycler jagen. Alles, von der Bananenschale bis hin zum Tumor eines Mimics, lässt sich zu nützlichen Rohmaterialien verarbeiten.

Vorne Schrott rein… (Eigener Screenshot)
…hinten wertvolle Rohstoffe raus. (Eigener Screenshot)
Diese werden dann zu nützlichen Hilfsmitteln verarbeitet. (Eigener Screenshot)

Haben wir dann die notwendigen Pläne, können wir unkompliziert alles herstellen, was wir gerade brauchen. Allerdings nur an bestimmten Maschinen, die über die Station verteilt sind. Manchmal sind diese nicht zugänglich oder müssen repariert werden. Falls das nicht möglich ist, kommt es häufig zu Backtracking durch einige Areale. Dieses Problem trifft auch auf manche Quests zu. Natürlich lässt es sich in einer offenen Spielwelt nicht vermeiden, ärgerlich ist es aber vor allem wegen der Ladezeiten zwischen einigen Arealen schon hin und wieder.

Doch nun zu den Rollenspiel-Elementen. Prey hat kein Levelsystem, aber dennoch einen sehr umfangreichen Pool an freischaltbaren Fähigkeiten aus verschiedenen Bereichen. Um eine Fähigkeit freizuschalten, braucht der Spieler Neuromods. Bei diesen handelt es sich um eine Art Gehirn-Upgrade, die durchs Auge injiziert werden. Sie können gefunden oder selbst hergestellt werden. Je stärker die Fähigkeiten sind, desto mehr Neuromods werden benötigt. Da sie nicht an jeder Ecke zu finden sind und die Herstellung materialintensiv ist, will wohl überlegt sein, für welche Fähigkeiten man sich entscheidet. Es ist auch wenig sinnvoll, sich nur auf eine Fähigkeitenkette zu konzentrieren, vielmehr ist eine gesunde Mischung der Schlüssel zum Erfolg. Später lassen sich Fähigkeiten der Typhon freischalten, so, dass man zum Beispiel kinetische Schockwellen verschießen kann. Doch um diese Fähigkeiten zu erhalten, müssen wir erst mit einem speziellen Gerät genug der einzelnen Typhon-Arten erforschen. Und Vorsicht ist geboten, denn wer zu viele der neuen Fähigkeiten nutzt, wird von den Verteidigungssystemen der Station als Gegner erkannt.

Das Skillsystem besteht am Anfang aus drei verschiedenen Kategorien, später kommen durch die Typhon-Fähigkeiten noch einmal drei weitere hinzu. (Eigener Screenshot)

Das Fähigkeitensystem ist also durchaus komplex und kein einfaches „mehr Waffenschaden/mehr Platz im Inventar“. Dem Spieler steht offen, wie er das Spiel erleben will und welche Kompromisse er dafür eingehen möchte. Spielerische Freiheit wird hier großgeschrieben, was ich wirklich lobend hervorheben muss. Alleine die Steuerung ist manchmal etwas fummelig und eher für den Controller optimiert, aber noch lange kein Debakel.

Kleine Schwächen, große Stärken

Prey ist nicht perfekt. Die Charaktere bleiben trotz gelungener Story meist eher blass, in manchen Momenten wirkt die Atmosphäre uneigenständig und die Optik ist zwar äußerst stimmig, aber trotz CryEngine etwas matschig. Doch das Spiel leidet nicht darunter. Diese Mängel lassen sich aufgrund eines sonst hervorragenden Gesamtpaketes nicht nur verkraften, sondern auch gerne verzeihen. Denn Prey gelingt ein Kunststück, dass heute viel zu selten geworden ist, gerade bei großen Titeln: Es fordert den Spieler heraus. Es ist schwer, manchmal unvorhersehbar, verlangt von mir Taktik, Planung und Aufmerksamkeit und lässt mir viel Freiheit, ohne dabei leblos zu wirken. Nicht, dass es nicht schwere oder anderweitig anspruchsvolle Spiele gäbe. Aber das Gesamtpaket ist innovativ und vertraut zugleich, was es so zugänglich und rund macht.

Im Vergleich zu seinem Namensvetter aus dem Jahr 2006 ist Prey vielleicht nicht ganz so innovativ oder abgedreht. Braucht es aber auch nicht. Obwohl es viele Anleihen von andere Spielen gibt, fühlt sich nichts altbacken an und die Neuerungen wurden an den exakt richtigen Stellen im richtigen Ausmaß eingebracht.

Ich hoffe auf mehr solcher Spiele in der Zukunft und rechne es den Arkane Studios hoch an, dass sie den Balance-Akt zwischen Mainstream und frischen Ideen gewagt und mit Bravour umgesetzt haben.

 

Prey
Plattform: PC (Steam), Playstation 4, XboxOne
Entwickler: Arkane Studios
Publisher: Bethesda Softworks
Bereits erschienen (5. 5. 2017)

https://prey.bethesda.net/de/

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