Eigentlich hätte das nicht funktionieren können, vielleicht sogar nicht funktionieren dürfen. Eine Fortsetzung der Heroin-Drama-Comedy, die die 90er so stark geprägt hat, noch einmal aufzuführen kann höchstens eine billige Kopie werden. Etwas, das früher super funktioniert hat, weil es eben ein Abbild seiner Zeit war und heute nur noch fremd wirken kann. Tja, Überraschung: T2 – Trainspotting 2 ist fantastisch. Das muss man erst mal schaffen. Ich ziehe meinen Hut, Danny Boyle.
Wie wir, das Publikum, kommt Mark Renton (Ewan McGregor) 20 Jahre nachdem er seinen Freunden 16.000 Pfund geklaut hat, zurück nach Edinburgh. Er besucht seinen Vater, seine Mutter ist bereits gestorben. Danach rettet er Spud (Ewen Bremner) vor dem Eigentod, der noch immer auf der Killerdroge hängen geblieben ist und dadurch alles, was er sich aufgebaut hat, wieder verloren hat. Mark gibt ihm einen Tritt in den Hintern und wagt sich dann, „Sick Boy“ Simon (Johnny Lee Miller) zu besuchen, der (irgendwie) weiterhin im Rotlicht-Business zuhause ist und H für Koks getauscht hat. Nach einem holprigen Start raufen sich die beiden zusammen und planen, ein eigenes Bordell zu eröffnen. Gleichzeitig schafft es Begbie (Robert Carlyle), aus dem Gefängnis zu entkommen, kehrt zu seiner Frau und dem bewundernswert normalen Sohn zurück und geht seinem kriminellen Geschäften nach. Eine not-so-happy Reunion bahnt sich an.
Boyle und John Hodge behandeln Irvine Welshs Figuren so respektvoll, wie man es sich nur wünschen kann. Sie alle bekommen ihre Geschichte, sie alle haben ihre Höhen und Tiefen, sind gleichzeitig liebenswert und abstoßend. Wie Trainspotting, schafft es auch T2 innerhalb von Sekunden die Stimmung von „ausgelassen“ zu „schockierend“ zu „traurig“ zu „absurd“ zu „komisch“ werden lassen. Alles wirkt irgendwie überzogen, aber das liegt vermutlich daran, dass wir alle so gut behütet sind und gar nicht wissen, wie so ein Leben eigentlich ist und doch gerne manchmal ein bisschen normal sind.
First, there was an opportunity. Then there was (no) betrayal.
Das schöne an T2 ist, dass er genau die Problematik des „Sequels“ identifiziert und aufgenommen hat. Er blickt nicht nur nach vorn, als wäre nichts passiert. Zehn Minuten Catch-Up und dann geht’s weiter, wie beim ersten Mal – das funktioniert hier nicht. Die zentralen Fragen sind: Was habe ich die vergangenen 20 Jahre gemacht? Was habe ich aus meinem Leben gemacht? Bin ich glücklich? Und wieso sehe ich eigentlich so alt aus? Eine Frage, die die Schauspieler in investigativen Interviews übrigens recht gern gefragt werden (es ist so unangenehm), meistens mit unvorteilhaften Vorher-Nachher-Fotos. Als Antwort gibt dann ein geknicktes Achselzucken, was sollen sie auch machen.
Alles andere im Film ist Aufarbeitung, bisschen unterhaltsames Beiwerk und der Versuch, gemeinsam vielleicht noch was aus dem vergeudeten Leben zu machen. Es ist eine Liebesgeschichte über Menschen, die eigentlich immer nur verloren haben, vor allem das, was sie lieben. Und ratet mal was sie herausfinden, zwischen Drogen, Sex, Alkohol und Brutalität? Ja, genau, dass sie sich alle irgendwie lieb haben. Ich weiß, man möchte brechen und es sollte eigentlich nicht funktionieren, aber es ist irgendwie schön. Während im ersten Teil Renton die Hauptrolle spielte, sind sich im zweiten Teil alle ebenbürtig, und wenn überhaupt jemand hervorzuheben ist, dann ist Spud. Mit ihm leidet man vermutlich am stärksten. Bremner holt wirklich alles aus der Rolle raus und macht Spud zum Herzstück des Films.
Inhalt ist aber nicht das Einzige, was diesen Film auszeichnet, sondern Boyles exzentrische Filmtechnik. Es wirkt ein bisschen, als hätte er einmal das Handbuch von vorn bis hinten durchgearbeitet, vor allem was Kamera, Schnitt und Effekte angeht, aber das ist egal, denn es macht glücklich. Neben Aufnahmen von Überwachungskameras nutzt er ganz gezielt Material des ersten Films und fügt dies flüssig und ungezwungen als Erinnerungsfetzen in die moderne Umgebung. Der Soundtrack ist jünger geworden und bleibt mit Wolf Alice, Young Fathers und den Rubberbandits weitestgehend auf der Insel – und wenn er es nicht tut, dann wegen Blondie und dagegen kann man nun wirklich nichts sagen. Nach wie vor ist die Musik kein Hintergrundgedudel, sondern gibt dem Film einen unverwechselbaren Charakter und ist großer Leistungsträger in der Vermittlung von Emotionen. Wenn man es sonst nicht mag, dann sollte man sich T2 wenigstens als Case Study anschauen. Dieser Film macht high, aber nicht auf die schlechte Art und Weise. Während der kompletten 110 Minuten treibt man dahin, es werden einige körpereigene Drogen ausgeschüttet und am Schluss ist man irgendwie glücklich. Zehn von Zehn.
Choose brilliant filmmaking.
Choose life.
R: Danny Boyle
B: John Hodge, Irvine Welsh (Vorlage)
Cast: Ewen McGreggor, Johnny Lee Miller, Ewen Bremner, Robert Carlyle
Verleih: Sony
110 Minuten; AT Start: 10.03.17