FLAMINGOS UND THEATERBLUT: Lost River

Flackerndes rosa Neonlicht, Musik aus dem Herzen der 80er und eine zum Sterben zurückgelassene Kleinstadt, irgendwo in den USA. Das ist die Kulisse, die der Ausnahmeschauspieler Ryan Gosling für sein leider eher unbedeutendes Regiedebüt Lost River gewählt hat.
Lost River © Bold Films Productions, LLC. / Tiberius Film GmbH
Lost River © Bold Films Productions, LLC. / Tiberius Film GmbH

Flackerndes rosa Neonlicht, Musik aus dem Herzen der 80er und eine zum Sterben zurückgelassene Kleinstadt, irgendwo in den USA. Das ist die Kulisse, die der Ausnahmeschauspieler Ryan Gosling für sein leider eher unbedeutendes Regiedebüt Lost River gewählt hat.

Regiedebüt oder Mango Chutney

Bereits kurz nach seiner Weltpremiere in der Sektion Un Certain Regard der Internationalen Filmfestspiele in Cannes ätzte die britische Tageszeitung The Guardian, dass Gosling statt diesen Film zu machen, genauso gut sein eigenes Lokal eröffnen oder den selbstentwickelten Geschmack eines Mango Chutneys auf den Markt hätte bringen können. Bösartig, aber nicht ganz unwahr. Denn im Gegensatz zu Schauspielern wie Clint Eastwood, Mel Gibson oder Sean Penn, die sich selbst auf den Regiestuhl gesetzt und damit großartige Juwelen der Filmgeschichte geschliffen haben, fehlt es Lost River zu großen Teilen an Authentizität und eigenständigem Stil. Zugute halten muss man Gosling allerdings, dass er es wenigstens erfolgreich vermieden hat, sich selbst vor der Kamera zu inszenieren. Denn dem überzeugenden und oftmals sogar unterhaltsamen Spiel der gut gewählten Darstellerriege, lässt sich nichts ankreiden. Die Schauspielerin Christina Hendricks, vor allem bekannt aus der hochgelobten AMC Serie Mad Men, äußerte sich bezüglich Goslings Regiequalitäten in einem Interview: „Ryan ist kreativ und lässt sich durch nichts beirren. Er ist außerdem Schauspieler, also gibt er fantastische Anweisungen und weiß, wie man mit Schauspielern reden muss.“

Die Stadt als Prinzessin in großer Not

Gosling, der die Dreifaltigkeit von Regisseur, Drehbuchautor und Produzent verkörpert, bezeichnet Lost River als „ein dunkles Märchen, mit der Stadt selbst als Prinzessin in großer Not und Figuren, die man wie Bruchstücke eines Traums wieder zusammenfügen möchte.“ In einer surrealen Landschaft aus ausgeschlachteten Häusern, stillgelegten Industriehallen und von der Natur zurückeroberten Straßen kämpft die alleinerziehende Mutter Billy (Christina Hendricks) darum, ihr Haus und den Zusammenhalt ihrer kleinen Familie zu retten. Gemeinsam mit ihrem älteren Sohn Bones (Ian De Castecker) versuchen sie auf jede nur erdenkliche Weise an Geld zu gelangen. Doch schnell wird klar, die Stadt und alles, was sich darin befindet, gehört dem Soziopathen und selbsternannten Alleinherrscher Bully (Matt Smith). Nomen est omen fürchten die übriggebliebenen Einwohner von Lost River seine terroristischen Rachetaten und blutigen Statements. So auch Rat (Saoirse Ronan), die gemeinsam mit der Namensgebenden Ratte und ihrer somnambulen Großmutter (Barbara Steele) im Nachbarhaus der Familie wohnt. Sie scheint die letzte Überlebende der geheimnisvollen Unterwasserstadt zu sein, die vor Jahrzehnten unter den Wassermassen eines riesigen Stausees begraben wurde.

Mashup der Meister

Traumatisiert und Stumm ist Rats Großmutter eine der Traumgestalten, die die phantastische Ebene des Films bevölkern. Auch Billy agiert wie in Trance, als sie der Offerte des Kreditgebers Dave (Ben Mendelsohn) folgt und in einem obskuren Varieté zu arbeiten beginnt. Von dem immerselben Taxifahrer (Reda Kateb) chauffiert, begibt Billy sich in die Hände einer betörenden Diva (Eva Mendes), die jeden Abend aufs Neue die tabuisierte Triebe und Sehnsüchte ihres gestörten Publikums befriedigt. Wer an dieser Stelle nicht schon längst der Meinung ist, in einem cineastischen Mashup von wahren Könnern ihres Handwerks gelandet zu sein, dem wird spätestens jetzt die Nähe zu David Lynch im Allgemeinen und seinem Film Mulholland Drive im Speziellen überdeutlich gemacht. Das für Lynch so typische rote Warnlicht, lässt die mit Theaterblut getränkte Szenerie des Nachtclubs in einer Aura des Unheilvollen erstrahlen. Doch auch Anklänge an Nicolas Winding Refns (Drive, Pusher) brutale Neo-80er-Streifen (inklusive Soundtrack) und Peter Stricklands letztem Italo-Horror Berberian Sound Studio treten hier als Paten auf den Plan.

Lediglich eine Kopie

Am Ende meint man mit Lost River lediglich der Kopie einer Kopie einer Kopie aufzusitzen. Zwar schafft Kameramann Benoî Debie (Spring Breakers, Enter the Void) die visuellen Stärken des Films im Spiel mit Unschärfen, Farben, Licht und bedrohlich brutalen Bildern durchwegs beizubehalten, aber auch sie können nicht mehr erzählen, als das Drehbuch hergibt. Ebenso ergeht es dem Versuch eine dramatische Milieustudie über die ausgebeutete Gesellschaft verlassener Industrieorte zu erzählen. Das konnten Lance Edmands Bluebird und Scott Coopers Out of the Furnace bereits besser. Nichtsdestotrotz muss man Goslings konsequente Bemühungen anerkennen, eine faszinierende Geschichte seiner eigenen Kindheit über das Geheimnis einer versunkenen Stadt als modernen Fantasy-Thriller erzählen zu wollen. Über kurze Strecken kann einen der transzendente Bilderrausch sogar in seinen Bann ziehen. Das eigentliche Urteil aber lautet: Nach sportlichen 95 Minuten Spielzeit hat man dennoch das Gefühl gerade aus einem drei Stunden Film gegangen zu sein.

 

Lost River
Regie: Ryan Gosling
Drehbuch: Ryan Gosling
Cast: Christina Hendriks, Saoirse Ronan, Ian De Castecker, Matt Smith
Verleih: Constantin Film
FSK 16, Laufzeit 1h 35 Min
Startdatum (AT: 29.05.2015 und DE: 28.05.2015)

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