Zizeks „Der nackte Mann“-Trick

Was Zizek mit dem "How I Met Your Mother" - Trick zu tun hat? Mehr als man glaubt.
Slavoj Žižek  (by Simon Plestenjak)
Slavoj Žižek (by Simon Plestenjak)

Ich klicke auf ein Video mit dem Titel I don’t care about surveillance und was ich zu sehen bekomme, fasziniert mich: ein wirrer, halbgraugesichtiger Mann greift sich an die Nase, fährt sich durch die verwuselten, verwuschelten Haare, zuckt, zappelt und brabbelt. Ich verliere schnell den Überblick in dem politischen Staccato des sich um die Nase streichenden Unholds. Ihm gegenüber sitzt, da es sich wohl um ein Interview handelt (es aber nicht ist), ein typischer Mann in grauem Anzug, gepflegt, ruhig, souverän und versucht Fragen zu stellen, kommt aber nicht zu Wort, indes der andere wild gestikulierend von Rassismus in New Orleans, über Sex, Hunde, Polizisten in den USA monologisiert und mehr und mehr aus sich heraus in Rage gerät. Kurz, es handelt sich um Slavoj Zizek – der, wie es scheint, angetreten ist, um das Vorurteil zu widerlegen, dass alle Theorie grau und/oder auch gähnend langweilig ist. Er raunt, brüllt, plappert als verwüstete Persönlichkeit in einem fort von Rammstein, Hitchcock, Pussy Riot, die er in einem Atemzug mit Freud, Lenin, Butler erwähnt, um, wie er behauptet, den Kommunismus, das Christentum, das Abendland vor sich selbst zu verteidigen.

Nach 5:53 Minuten ist das „Interview“ vorbei und ich bleibe in der Stille des Computerlüfters zurück und werde nachdenklich. Vor allem frage ich mich nach dem Zusammenhang von Provokation, Skandal und Erfolg, oder genauer: würde man von Zizek überhaupt jemals gehört haben, hätte er nicht irgendwann begonnen, ob absichtlich oder nicht, ein „enfant terrible“ des Feuilletons zu werden, oder wieder konkreter: hätte er sich nicht entschlossen, seine Thesen mit Stalin, Sex, Witzen und Rammstein zu illustrieren, mit Szenen aus Die Vögel, Avatar und The King’s Speech zu erklären und DVDs herauszubringen, die The Pervert’s Guide to … betitelt sind, um seine Botschaft in die Welt zu bringen? Oder wer kennt schon, außer die Eingeweihten, Jean-Luc Nancy, Wendy Brown, Frederic Jameson oder Julie Kristeva?

Zizek ist schlicht und ergreifend Produkt seiner eigenen Marketing-Strategie und einer erfolgreichen dazu. Er kultiviert seine Wiedererkennungsmerkmale als bewusst eingegangene „deformation professionelle“, so dass seine Rede beinahe im chaotischen Auftritt des außer sich geratenen „Big Foots“ unterzugehen droht. Und tatsächlich: Zizek ist unterhaltsam. Er ist witzig, ein Entertainer, der eigenartige Ansichten vertritt, provoziert und illustres Intellektuellen-Kabarett aufführt. Aber ist bei Zizek mehr dahinter? Gibt es eine Seriösität, einen tatsächlich horizonterweiternden philosophischen Anspruch? Oder macht er sich nur lustig, befreit uns von den großen Namen: Hegel, Freud, Marx etc., eine Art Rene Pollesch des intellektuellen Diskurses? Bietet er also die erlösende Verballhornung der „vorgestrigen“ Globalisierungsgegner und Occupy-Bewegten, auf dass wir uns mit Freude ohne schlechtes Gewissen mit unseren Hobbies beschäftigen können?

Der Vergleich mit Rene Pollesch führt mich tatsächlich aus der Sackgasse, denn im Gegensatz zu diesem verdammt Zizek nichts und niemanden. Zizek schließt niemanden aus, und was dabei entsteht, so unheimlich es klingt, ist eine tatsächliche und rätselhafte Agonistik des demokratischen Diskurses. Er zeigt eindrucksvoll, dass die Elemente der Lust-und-Spass-Gesellschaft alles Wesentliche beinhalten, die Computerspiele, wie die TV Serien, von The Vampire Diaries zur Kritik der reinen Vernunft ist es nunmal, laut Zizek, nicht weit. Er bricht mit einer bislang unsichtbar gehaltenen Übereinkunft, hohe von niedrigen Kunstformen zu scheiden – und zwar radikal und nicht nur hinter vorgehaltener Hand, und unterstreicht diesen Gestus, indem er sogar in seiner Erscheinungsweise in keiner Weise dem seriösen Intellektuellen gleicht.

Und als ich das nächste Video dann anklicke, merke ich, diesen wirren Kauz betrachtend, wie er distanzlos auf seinen Gesprächspartner einzudringen versucht, dass man vor ihm tatsächlich keine Angst zu haben braucht, egal, was er weiß, egal, wie viele Bücher er gelesen und geschrieben hat. Er tritt nicht als Autorität in Erscheinung. Zizek zu widersprechen ist leicht. Er lässt es zu – alles zählt, ob es sich um Szenen aus Game of Thrones oder aus Der große Diktator handelt, um die Hunger Games-Trilogie oder die Dreyfuss-Affäre, um Emile Zola oder Frank Schätzung. Er zeigt, Denken kann Spass machen. Und gerade in diesem Anspruch, trotz aller Show, Provokation, vertritt Zizek dann eben doch eine klare Botschaft: „Bange machen gilt nicht“, alle dürfen mitmachen, alle Kunst- und Ausdrucksformen sind erlaubt. Was will man eigentlich mehr? Zizek praktiziert den „Nackten Mann“-Trick aus How I met your mother, indem er sich plump, wild, harmlos wirr gibt, bar jeder Seriösität und Autorität, muntert er eher zum Zuhören und Um- und Mitdenken auf und kann tatsächlich als sehr zeitgemäße Variante des Intellektuellen bezeichnet werden, der laut dem Feuilletons seit dem Tod von Jean-Paul Sartre ausgestorben ist.

 

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