LEGO ist für viele der Inbegriff von Kindheit und Kreativität. Seit Jahrzehnten versorgt der dänische Konzern Millionen von Kinderzimmern mit seinen Bausteinen. Aber nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene sind begeistert von den Möglichkeiten, die die bunten Klötze liefern. Ich bin einer von ihnen und habe schnell gelernt, dass zur bunten Steinewelt viel mehr gehört als nur Bauspaß und Kreativität.
Die meisten von uns werden in ihrer Kindheit selbst mit den bunten Steinen ganze Welten geschaffen haben. Ob Mittelalter, Wilder Westen, oder Aliens, nichts war unmöglich. Nicht umsonst war das Motto von Lego für lange Zeit just imagine. Aber mit der Pubertät schwand langsam das Interesse an LEGO und die Steine verstaubten auf dem Speicher. Für mich und viele andere Erwachsene war der Abschied von Lego jedoch nur temporär. Seit 2018 baue und sammle ich wieder Lego-Sets. Damit bin ich zum AFOL (Adult Fan of Lego) geworden und tief in eine erstaunliche Szene eingetaucht. Dabei habe ich entdeckt, dass längst nicht alles in der Klötzchenwelt perfekt ist.
Die Rückkehr ins Baustein-Universum
Ganz genau kann ich meine Rückkehr zu LEGO auch nicht nachvollziehen. Die Leidenschaft war plötzlich da. Aber die Vorzeichen waren schon seit einigen Jahren eindeutig. Schon zu Beginn meines Studiums überlegten ich zusammen mit meinen Mitbewohnern, einen Imperial Star Destroyer zu kaufen, um ihn im Wohnzimmer auszustellen. Angesichts der Preise von bis zu mehreren tausend Euro für gebrauchte Sets verschwand diese Idee allerdings schnell wieder in der Lottogewinn-Schublade.
Dann kam 2018. Bei mir stand die Masterarbeit auf dem Plan und mit ihr zusammen jede Menge Stress. Da musste natürlich passende Ablenkung her. Nun kamen mehrere Faktoren zusammen. Ich schaute das erste Mal The Lego Movie, suchte ziellos nach Legosets und stieß auf den YouTubekanal Held der Steine. Dieser gehört Thomas Panke, dem Besitzer eines Spielzeugladens in Frankfurt. In seinen Videos stellt er alte und neue Sets vor und sagt unverblümt seine Meinung zu Problemen oder Fehlern. Auf ihn werde ich später noch einmal zurückkommen.
Inspiriert durch diese Faktoren kaufte ich spontan mein erstes Set seit über 14 Jahren Abstinenz, einen Y-Wing. Meine Freundin und ich bauten ihn kurz darauf gemeinsam zusammen. Danach war es um mich geschehen. In den letzten acht Monaten habe ich zehn größere und kleinere Bausätze gekauft oder geschenkt bekommen und nahezu jeden verfügbaren Platz meines Zimmers ausgefüllt.
Der erste Schock jedoch waren die Preise – nicht nur die alten Sets sind teuer! Mir wurde bewusst, welche Summen meine Eltern für mich ausgegeben haben mussten, als ich noch ein Kind war. LEGO war damals zwar noch etwas günstiger, aber keineswegs billig. Noch extremer wird es wie bereits erwähnt im Fall von alten oder seltenen Sets. Der erste Millenium Falcon aus der Ultimate Collector Series wird bei Ebay für Preise zwischen 2500 und 5000 Euro gehandelt. Das ist natürlich ein Extremfall, höhere dreistellige Summen sind allerdings kein Einzelfall. Es gibt auf jeden Fall erschwinglichere Hobbies, vor allem für mich als Student.
Doch der Virus ließ mich nicht los und wenn ich ein Set wirklich haben wollte, wurde eben gespart. Natürlich geht es bei mir nicht mehr um den Spielfaktor, sondern um das Bauen und Ausstellen der Modelle. Denn vor allem der Bauprozess ist meditativ und zufriedenstellend. Hier kann ich ähnlich gut abschalten wie bei einem guten Spiel oder Buch. Im Gegensatz zu diesen beiden wird man vor allem selber aktiv und schafft etwas Haptisches. Und es sieht einfach gut aus! Aber das ist natürlich bei Weitem nicht alles, denn wie bei jedem Hobby gibt es auch hier eine ganz eigene Fanszene. Und die hat es in sich.
Dark Ages, LEGO-Investment und die richtige Bautechnik
Je länger ich mich mit LEGO beschäftigte, desto tiefer tauchte ich in die AFOL-Szene ein. Denn hier tut sich eine ganze eigene Welt auf. Es gibt ein eigenes Vokabular, verschiedene, teilweise zerstrittene, Fangruppen und unendliche Kreativität. Als erstes lernte ich, dass ich durch meine Rückkehr zu Lego den „Dark Ages“ entkommen war. Ich bin allerdings nicht aus dem Mittelalter zurückgekehrt, viel mehr bezeichnet dieser Begriff zwischen Kindheit und Erwachsensein, in dem kein Lego gebaut wird. Nun war ich also zurück im Licht und konnte mich weiter erleuchten.
Dazu bietet die Welt von LEGO an jeder Ecke neue Gelegenheiten. Es gibt Portale wie http://www.brickinvesting.com/, bei denen der Marktwert von Sets, Figuren und Einzelteilen exakt nachvollzogen werden kann. Denn Lego wird nicht nur gebaut und gesammelt, sondern auch als Investment genutzt. Einige Sammler kaufen die Sets mehrfach, um immer ein original verpacktes Exemplar zu haben, dass dann verkauft werden kann. Die zuvor genannten Preise belegen, dass diese Strategie aufgeht.
Viele Fans kritisieren in diesem Kontext jedoch auch die stattfindende Preistreiberei. Denn wie schon zuvor erwähnt, sind manche Kleinwagen günstiger als die Preise, die für ältere Sets verlangt werden. Deshalb greifen immer mehr Käufer zu günstigen Klonen aus China, die exakte Kopien der teureren Originale sind. Häufig müssen Kompromisse bei der Qualität eingegangen werden, was jedoch bei den viel günstigeren Preisen gerne akzeptiert wird. Viele sehen Klone jedoch kritisch, da sie die Ideen plump von Lego stehlen und damit dem gesamten System schaden. Andere argumentieren, dass die Preispolitik Legos an dieser Entwicklung schuld und der Kauf von Kopien daher vertretbar sei.
Generell sind sich die Fans in vielem uneinig. Einige bauen strikt nach Bauanleitung, andere schütten alle Teile auf einen Haufen und wählen die Wühltechnik. Ein anderes strittiges Thema sind die MOCs. Die Abkürzung steht für My Own Creation und bezeichnet selbst entworfene Sets. Während manche Fans hier puristisch veranlagt sind, nutzen andere auch „illegale Bautechniken.“
Hier werden zum Beispiel Legosteine verklebt oder zersägt, um neue Formen zu erhalten. Manche Baumeister setzen sogar LEGO-fremde Teile ein. Die Resultate sind oft atemberaubend und übertreffen alles, was LEGO je entworfen hat. Die AFOL-Szene ist also äußerst divers und von vielen verschiedenen Perspektiven geprägt. In einem sind sich jedoch viele Fans einig: LEGO ist ein an sich tolles System, das jedoch zunehmend unter Problemen leidet.
Elfenbeinturm aus Legosteinen
Schuld daran ist der Konzern selbst. Denn bei aller Romantik und Kindheitserinnerungen: Lego ist ein millionenschwerer Konzern, dessen Hauptziel der Profit ist. 2017 betrug der Umsatz umgerechnet 4,7 Milliarden Euro. Zusammen mit Hasbro und Mattel ist LEGO der größte Spielwarenhersteller der Welt. Daran ist erst einmal nichts verwerflich. Allerdings bringt LEGO zunehmend seine Kunden gegen sich auf. Denn man arbeitet immer mehr an der Zielgruppe vorbei. Sets werden immer teuer, enthalten dafür aber weniger Teile und sind teilweise absolut lieblos und merkwürdig konzipiert, so dass die Kosten nur noch schwer zu ertragen sind.
Wo früher Ritter, Züge und Piraten dominierten, sind heutzutage in zunehmend Lizenzsets im Programm, beispielsweise von Star Wars, Minecraft und Jurassic World. Lego produziert zwar weiterhin eigene Serien wie die sehr beliebte Ninjago-Reihe, diese geraten aber zunehmend ins Hintertreffen. Die Lizenzsets sind kein Problem an sich, aber teilweise extrem teuer und immer häufiger ohne jegliche Highlights. Dementsprechend laut sind die Vorwürfe der fehlenden Kreativität, verbunden mit stumpfer Geldgier.
Ich habe mit dem Helden der Steine, Thomas Panke gesprochen und ihn zu seiner Meinung gefragt. Für ihn sitzt das Lego-Management in einem Elfenbeinturm ohne Kontakt zur Realität. Er sieht diesen Trend seit etwa fünf Jahren und vermutet, dass sich Lego mit dieser Richtung in Zukunft spürbar selbst schaden wird. Er selbst wurde kürzlich zum Inbegriff dieses Imageschadens. Am 20.1.2019 veröffentlichte er auf YouTube ein Video, in dem er das Ende der offiziellen Partnerschaft mit LEGO ankündigt. Eine Anwaltskanzlei hatte ihm im Auftrag von Lego gebeten, sein bisheriges Logo nicht mehr weiter zu nutzen, da die darauf sichtbaren Noppen Assoziationen mit Lego wecken könnten. Die Kunden sollten ihn nicht mit dem Konzern verwechseln
Der Brief war an sich nicht einmal eine Abmahnung, aber dennoch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. In seinen Videos kritisiert er schon lange die Konzeptlosigkeit und Dreistigkeit von Lego. Auf meine Nachfrage hin sagt er sehr deutlich, dass er auch in Zukunft keine offizielle Partnerschaft mit Lego mehr eingehen möchte. Im Video betont er, dass er die Werte von Lego nicht teilt und vor allem die Art dieser Kommunikation extrem unschön findet. Anstatt ihn einfach anzurufen, wird mit ihm trotz des seit mehreren Jahren bestehenden Geschäftsverhältnisses nur per Anwalt kommuniziert, der sich ebenfalls nur per Brief meldet.
Die Reaktionen auf sein Video enthalten viel Zustimmung und vor allem Ärger über Lego. Nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung entfaltet sich auf Facebook und Twitter ein Shitstorm unter dem Stichwort #noppengate. Auch hier entlädt sich der Frust und Spott über den Konzern. Die Posts zeigen, dass der Großteil der Kunden das System Lego seit Jahrzehnten schätzt, aber frustriert über viele Entscheidungen in der jüngsten Vergangenheit ist. Viele kündigen an, keine weiteren Sets mehr zu kaufen.
Leidenschaft vs. Konzernpolitik
LEGO reagiert anfangs kaum. Erst zehn Tage später, auf der Spielwarenmesse in Nürnberg, äußert sich Deutschlandchef Frédéric Lehmann im Rahmen einer Pressekonferenz zu dem Vorfall. Er gesteht ein, dass hier in der Kommunikation Fehler gemacht worden sind, aus denen der Konzern gelernt hat. Eine reichlich verspätete Reaktion, die den Imageschaden vermutlich nur bedingt beheben kann. Das alles zeigt, dass Lego ein Wunderland mit Schattenseiten ist.
Das System bietet quasi unendliche Möglichkeiten der Entfaltung und bereitet Fans viel Freude. Allerdings scheint das Unternehmen nicht immer recht zu wissen, worauf es eigentlich ankommt. Ein Fokus auf Gewinn statt durchdachter Qualität ist keine gute Idee auf einem gesättigten Markt. Es bleibt zu hoffen, dass LEGO zeitnah seine Strategie ändert und wieder mehr auf die Fans hört. Dennoch werde ich meinem neuen Hobby treu bleiben. Denn die vielen Probleme stören zwar, können den Spaß, den das Bauen und Sammeln von LEGO macht, nicht überwiegen. Es ist ein generationsübergreifendes Hobby, dass die Kreativität fördert und die perfekte Flucht vor dem Alltag bietet. Daran hat sich trotz merkwürdiger Designentscheidungen von LEGO nichts geändert. Es bleibt zu hoffen, dass das auch weiterhin so bleibt. Denn die Welt der bunten Steine und Figuren ist nicht nur vielseitig, sondern inklusiv und bietet jedem eine einzigartige Erfahrung, die dennoch verbindet.