Die kulturelle Globalisierung ist doch ein wirklicher Segen: Heute strömt zu uns aus allen Ecken und Enden der Welt die vorzüglichsten Ideen, Visionen und Unterhaltungswerke. Und so schlug Netflix Knight of Sidonia vor, eine Anime-Serie, und unversehens wurde ich in eine seltsame, aber grandiose Welt gezogen. Völlig unerwartet, denn ich habe noch nie zuvor eine Anime-Serie angesehen, noch eine Manga-Comic-Reihe gelesen. Hier also meine uneingeschränkte Liebeserklärung an die 1. und 2. Staffel von Knights of Sidonia, die momentan auf Netflix zu sehen ist (und die hoffentlich eine 3. Staffel bekommt).
Es handelt sich um eine Science-Fiction-Fantasy Serie von Tsutomo Nihei, der eine postapokalyptische Welt imaginiert. Man schreibt das Jahr 3394. Die Erde wurde von formwandlerischen Wesen namens den Gauna zerstört und die Menschheit ist auf der Flucht, und zwar auf einem riesigen Raumschiff namens „Sidonia“, erbaut aus den Überresten des Planeten. Die Menschen können mittlerweile so gut wie alles Erdenkliche, bspw. auch Photosynthese, so dass sie gar nicht essen müssen, selbst Unsterblichkeit ist möglich geworden; und die verspätete Wahl des Geschlechtes (Sexus).
Wer jetzt an Battlestar Galactica denkt, liegt nicht so falsch. Es gibt viele Reminiszenzen, auch an Babylon 5 und sowieso an Mass Effect (wiewohl ich fast glaube, dass Mass Effect sehr viele Ideen aus dem JRPG und Manga-Bereich westernisiert hat). Aber die Ähnlichkeiten führen hier an dem Herz der Sache vorbei: Knights of Sidonia ist ein einziger atmosphärischer, ästhetischer, erzähltechnischer Genuss.
Schon das erste Bild erfüllte einen langersehnten Wunsch von mir: nämlich die ästhetische Wiederentdeckung von Beneath a Steel Sky. Es handelt sich hierbei um ein Adventure, das 1993 auf dem Amiga und PC erschien, und wahrlich eine Perle seines Genres ist (und daher seit 2009 auch auf iOS eine Wiederauflage erlebt). Es glänzte dabei nicht mit ausgefuchsten Rätseln, auch nicht mit technischen oder graphischen Neuerungen, nein: Es verstand allein durch seine mysteriöse, verlassene, postapokalyptische Atmosphäre in den Bann zu ziehen. Jeder Raum, jede Zeile, die ganze Geschichte, die sich vor den Augen des Spielers entwickelte, besaß eine eigene Dichte und Spannung, dass es beinahe unmöglich war, das Spiel nicht in einem Rutsch durchzuspielen, allein schon aus berauschender Neugier heraus.
Und genau so beginnt Knights of Sidonia, nämlich mitten drin, in einer mysteriösen Raumschiffwelt, mit hohen, unübersichtlich verzweigten Gebäude- und Industriekomplexen in sandbraun, Labyrinthen, einer unverstandenen, längst zurückliegenden Vergangenheit, die tief im Bauch dieses seltsamen Raumschiffes auf eine Wiederkehr wartet; und auch eine Wiederkehr feiert als Tanikaze Nagate an die Oberfläche schleicht, um Reis zu stehlen, und dort gefangen genommen wird.
Man versteht nicht viel – und im Laufe der Zeit wird alles auch eher noch mysteriöser als klarer, was aber der Lust und Freude beim Zuschauen nicht im Wege steht. Ganz im Gegenteil. Knights of Sidonia kann gar nicht langweilen – weil es ein Potpourri aus Ideen, aus Überlagerungen, eine Kollage und Improvisation in einem unübersichtlichen Universum darstellt, das sich gar nicht enträtseln lassen will, noch enträtseln lassen kann. Die Wirklichkeit der handelnden Figuren ist dafür zu vielschichtig, die Stimmungen, Launen, die Absichten und Motive zu verwickelt, die aussichtslosen Situationen so ausgefuchst und kafkaesk, das es reicht, mit den einzelnen Figuren mitzufiebern, in kleinen Schritten, gebannt und gefesselt in völliger überfordernder Unübersichtlichkeit einfach nur die nächste Katastrophe mit den Protagonisten durchzustehen.
Es ist nämlich die Stärke von Knights of Sidonia Charaktere und Szenen zu schaffen, die ganz für sich alleine schon, ohne Rahmenhandlung, verständlich, mitreißend und spannend sind, bspw. wenn Izana Shinatose eine Packung Reisbällchen mit Tanikaze teilt, während sie beide sich auf einem Balkon mit Sicht auf das wirre Treiben
der Raumschiffbewohner ihrer Sorgen bewusst werden; oder, wenn die Kapitänin Kobayashi, ausdruckslos hinter ihrer Maske, Befehle gibt, mit sorglos ruhiger Stimme, indes um sie herum die Panik ausbricht. Alles ist stimmig, jede Szene liegt dicht und für sich zur Entdeckung bereit. Zumal die Bilder, das Arrangement,
die Geometrie der Zeichnung und die Abfolge der Ereignisse schon ein Genuss für sich sind (völlig ohne inhaltlichen Kitt).
Knights of Sidonia trägt der popkulturellen Tendenz zur Unübersichtlichkeit Rechnung. Wie Skyrim und The Witcher 3 kaum ausgereizt werden können, wie Akira gar nicht zu verstehen ist, oder Twin Peaks absurd jeder Serienlogik trotzt, so setzt Tsutomu Niheis Universum einzig auf die Atmosphäre, aufs stimmige Detail. Als großes Ganze reicht der schlichte Rahmen und die Tatsache, dass eben alles möglich ist, auch eine Bärin als Köchin.
Knights of Sidonia kann ich allen empfehlen, insbesondere denen, die Dark Souls-Atmosphäre mochten, aber auch allen anderen. Diese Serie steht für sich und ich werde sie noch einige Male sehen, auf der Suche nach neuen Querverweisen und interessanten Dopplungen, wie damals bei Akira und Ghost in the Shell.
Knights of Sidonia
Produktion: Polygon Pictures
Bei: Netflix