Ursprünglich sollte dieser Artikel die Überschrift „Ist der Mainstream-Horror noch zu retten?“ tragen und sich inspiriert durch die P.T./Silent Hills-Pleite mit dem Niedergang eines ganzen Genres befassen. Dann habe ich The Evil Within durchgespielt und festgestellt: Das Genre braucht keine Rettung, denn es lebt und strahlt auf schrecklich faszinierende Weise. Im Folgenden soll ausgebreitet werden, wie mich The Evil Within gefesselt und in seinen Bann gezogen hat und wie kritisierte Schwächen auch Stärken sein können.
Worum es in The Evil Within geht, ist auf den ersten Blick und in den ersten Spielstunden gar nicht so leicht zu erkennen. Das konfuse Story-Telling des Spiels wurde ihm in vielen Tests negativ vorgehalten und zählt zu den meistgenannten Schwächen. Zur einfachen Erläuterung sei der Film The Cell von Tarsem Singh herangezogen, der wie auch The Evil Within nennenswerte Kritikpunkte hat, allen voran seine katastrophalen Hauptdarsteller Jennifer Lopez und Vince Vaughn. Vor allem macht er aber im Design so viel richtig, dass sich eine Sichtung auf jeden Fall lohnt. In The Cell geht es um eine Therapeutin (Jennifer Lopez), die per Highend-Maschine in die Gedankenwelt ihrer Patienten eindringen kann, um sie quasi direkt an der Quelle, im Unterbewusstsein, zu behandeln. Sie wird gebeten, in die alptraumhafte Psyche eines Frauenmörders einzudringen, um Hinweise zu finden, die sein letztes Opfer retten könnten.
Ruvik’s Chainsaw Massacre …
Ähnlich geht es in The Evil Within zu. Glaube ich zumindest. Als Spielerin oder Spieler schlüpf man in die Rolle des Police Detective Sebastian Castellanos, der sich durch die Gedankenwelt des wahnsinnigen Ruviks kämpfen muss. Auf seiner Reise erfährt er jede Menge über illegale Vorgänge und Experimente in einer Klinik, aber auch über schreckliche Ereignisse aus Ruviks Jugend, die aus einem verwöhnten Söhnchen den grauenhaften Killer gemacht haben, durch dessen schreckliche Visionen sich Sebastian Castellanos und seine beiden Kollegen Joseph Oda und Julie Kidman kämpfen müssen. Ausgangs- und Endpunkt des psychedelischen Horrortrips ist eine Nervenheilanstalt, in der Sebastian erstmals auf den geisterhaften und übermächtigen Ruvik trifft. Ein kurzes Intermezzo, das damit endet, dass sich Sebastian kopfüberhängend zwischen Leichen in einer Art Schlachthaus findet, bewacht von einem Hünen, der aus den ehemaligen Menschen handliche kleine Häppchen macht. Schon hier zeigt sich, dass The Evil Within in Sachen Gewaltgrad keinesfalls zimperlich ist. Es gelingt Sebastian und damit uns Spielenden, aus dieser schrecklichen Schlachterei zu fliehen. Doch bis er mit Joseph und Julie vereint endlich aus der Anstalt entkommt, gilt es noch ein nervenaufreibendes Versteckspiel mit dem schlachtenden Riesen auszutragen, der sich, um das Ganze spannender zu gestalten, eine Kettensäge mitnimmt. Dieser gelungene Auftakt gehört zu den stärksten Kapiteln von The Evil Within und kann als Paradebeispiel für gelungenen Survival-Horror genannt werden.
… and other twisted Tales by Shinji Mikami
Im weiteren Verlauf der fünfzehn Kapitel umfassenden Handlung schleudert uns Ruviks kranker Geist fast schon checklistenartig alles entgegen, was sich Horrorfans erträumen können. The Evil Within wird zur ultimativen Hommage an das gesamte Genre, was bekanntlich auch das erklärte Ziel von Shinji Mikami war. Mikami, der Hauptverantwortlichen hinter dem Spiel, dürfte Videospiel-Fans vor allem für seine Meilensteine Resident Evil und Devil May Cry bekannt sein. Mit The Evil Within wollte er das Genre zurück zu seinen Wurzeln bringen und den traurigen Entwicklungen entgegen wirken, die sich bei einst großen Namen wie Resident Evil, Silent Hill (aber beispielsweise auch Alone in the Dark!) mit jedem weiteren Teil beobachten lassen.
The Evil Within: Horror aus der Mikrowelle
The Evil Within lässt uns also durch verlassene Kliniken, verfluchte Herrenhäuser, Katakomben, postapokalyptische Städte, U-Bahn-Schächte, verfallene Kirchen, Friedhöfe et cetera laufen. Neben Standard-Gegnern, die durchaus munter weiterkämpfen können, wenn man ihnen das halbe Gesicht wegschießt, hat Ruviks Psyche auch deutlich größere Kreaturen für uns parat, die uns in Form von Endgegnern begegnen. In den unterschiedlichen Abschnitten gibt sich das Spiel im Rahmen seiner Möglichkeiten abwechslungsreich. Abschnitte des Metzelns (dafür hat man Pistolen, Schrotflinten, Granaten, Scharfschützengewehre, Messer und die sogenannten Qualen-Armbrust mit verschiedenen Bolzen, die man sich selbst zusammenbauen muss) wechseln sich mit Schleichpassagen, Endgegner-Kämpfe mit Situationen, in denen sich die überstürzte Flucht nach vorne als beste Option erweist. In Punkto Gameplay macht The Evil Within zusammenfassend nichts, was die horrorphile Game-Community nicht schon in irgendwelchen anderen Szenarien gespielt und erlebt hätte. Festzuhalten ist allerdings auch, dass das Spiel damit sehr viel Bewährtes gut und richtig macht und kaum etwas falsch. Gut aufgewärmt ist in diesem Fall eben besser, als schlecht frisch gekocht. Einzig die Kamera-Ausrichtung ist in seltenen Fällen suboptimal – was aber in nahezu allen Third Person-Spielen zu kritisieren ist.
Liebe Laura, kennst du den Wächter?
Was The Evil Within in meinen Augen aber unglaublich großartig macht, ist das fantastische Creature-Design. Auch bei der Gestaltung der Figuren verlassen sich Shinji Mikami und sein Team teilweise auf funktionierende Stereotypen. Seien es die zombiehaften Standard-Gegner oder Laura, die mit ihrem langen schwarzen Haaren und ihrem bleichen Körper wohl als Archetyp des asiatischen Horrors zu sehen ist. Die richtige Brillanz erlangen die Monster aber dadurch, dass sie liebevoll in die Geschichte eingearbeitet wurden. Sie sehen nicht nur möglichst cool, wild und schrecklich aus, sondern erfüllen in der Geschichte von The Evil Within auch allesamt ihren plausiblen Zweck. Besonders Laura, die uns Spielerinnen und Spielern mehr als nur einmal das Leben schwer macht, hat eine detailliert ausgearbeitete Backstory, die uns das Spiel häppchenweise näherbringt und die auch erklärt, mit welcher Waffe wir die rachsüchtige Dame letztendlich in die Knie zwingen. Antagonist Ruvik, der uns als übermächtiger Geist und Herr seiner verkommenen Welt immer und immer wieder gegenüber tritt, wird ebenso detailliert erklärt. Am Ende wissen wir über ihn und Laura mehr, als über unseren Hauptcharakter Sebastian Castellanos, der die ganze Zeit über recht blass bleibt und nur durch ein paar wenige Tagebucheinträge einen Hauch von Tiefe bekommt. Aber auch Gegner wie der Wächter, der anstelle eines Kopfes einen mit Stacheldraht umwickelten Tresor trägt, erfüllen in Ruviks Psyche ihre Aufgaben. Als Rezipientinnen und Rezipienten überlässt uns das Spiel gerade wegen seiner lückenhaften Erzählstruktur aber oftmals das Interpretieren vieler Figuren.
サイコブレイク, klar soweit?
Jenen, die sich nicht selbst überlegen wollen, was diese Riesenspinne aus zusammengesetzten und gequälten Leibern darstellt und wieso sie durch Ruviks Visionen geistert und Jagd auf uns macht, bietet das Spiel nach erstmaligem Durchspielen – nach fünfzehn Kapiteln und in meinem Fall 159 Toden – auch eine Galerie im Menü, die uns die Möglichkeit gibt, alle Figuren und Monster in Ruhe zu betrachten. Ist mir dieses Feature in anderen Spielen meist egal, hat es The Evil Within für mich noch spannender gemacht. Zu jedem 3D-Modell lässt sich nämlich auch ein Text einblenden, der uns einerseits Informationen zum Design der Kreaturen gibt und erklärt, wieso sie aussehen, wie sie aussehen und andererseits mit diesen Informationen auch weitere Aufschlüsse über die wirre Story liefert.
Inception, The Cell, The Evil Within, David Lynch?
Auch das viel kritisierte Story-Telling zählt für mich zu den erfrischenden Highlights dieser Alptraumwanderung. Ich will nicht jede Information auf dem Silbertablett serviert bekommen, ich will meine eigenen Schlüsse ziehen und die Welt interpretieren! Der Horror erzeugt sich aus dem Unnahbaren im Vertrauten. Bekannte Motive wie ein Leuchtturm werden plötzlich zu Symbolen des Schrecklichen. Eine Strategie, die sich viele Urban-Myths oder auch Horrorfilme (The Ring) zu eigen machen. The Evil Within wirft uns in einen Pool klischeehafter Horror-Szenarien, lässt uns dank seiner verwirrten Erzählung aber darin zappeln und erzeugt fast schon eine Erzähl-Dynamik, die man sonst nur aus Träumen (oder David Lynch-Filmen) kennt. Wir folgen einem Ziel, wissen aber nicht ganz wieso, wo und warum. Sind wir in Sebastians Psyche? Sind wir in Ruviks Gedankenwelt? Wieso sind auch Julie und Joseph hier? Kommt zu Tarsem Singhs The Cell in The Evil Within auch noch eine Spur Inception und Sucker Punch? Ab wann ist die Handlung in einer bösen Gedankenwelt, wo sind die Übergänge, kommen wir auch wieder raus? Woran merken wir, dass der Horror am Ende vorbei ist und … ist er es überhaupt?
Seine Schwäche ist seine Stärke
Am Ende der meisten (Horror-)Filme und Thriller ist alles gut. Das Publikum hat eine Achterbahn der Emotionen hinter sich, die sich in einer Karthasis aufgelöst haben und es befriedigt nach Hause schicken. Zumindest bis das Franchise im nächsten Teil weiter ausgeschlachtet wird und das Böse zu diesem Zweck auferstehen muss. The Evil Within bietet keine Erlösung, das Publikum ist am Ende genauso verwirrt wie vorher, fühlt sich um seinen Triumph betrogen. The Evil Within bricht mit der klassischen Erwartung und Erzählstruktur und genau das soll eine Schwäche des Spiels sein? Ganz im Gegenteil: seine traum- und sprunghafte Erzählweise macht es mit dem fabelhaften Monsterdesign trotz altbackener Spielmechanik und ausgelutschten Szenarien zu einer spielenswerten Huldigung des Genres. Einem Genre, das sich im Mainstream-Bereich zwar nicht gerade viele Innovationen leistet (anders im Indie-Bereich!), das mit Titeln wie The Evil Within oder Alien: Isolation aber alles andere als tot ist!
The Evil Within
Plattform: PS3, XBOX 360, PC, PS4, Xbox One
Entwickler : Tango Gameworks
Publisher Bethesda
bereits erschienen (am 14. Oktober 2014)
Anm.: Alle Screenshots wurden von mir selbst mit der Share-Funktion der PS4 gemacht.