Nachdem Ubisoft in der nahen Vergangenheit mit „generisches Assassins Creed #365“ und „Farcry: Copy-Paste“ keine unbedingt schlechten, aber eben auch keine wirklich bemerkenswerten Spiele auf den Markt brachte, haben sie beim zweiten Versuch, ein Hacker-GTA zu etablieren, ganz viel richtig gemacht. Watchdogs 2 ist ein fantastisches Spiel – mit massiven inhaltlichen Problemen.
Wir befinden uns in einer Version von San Francisco, die gar nicht so weit von unserer entfernt ist: Google heißt Noodle, Donald Trump ist Mark Thruss, Martin Shkrelli ist Gene Carcani. Die Menschen auf den Straßen hängen permanent am Smartphone und das ist tatsächlich schnell gehackt, gerade wenn es in offenem WLAN ist (San Francisco hat viele öffentliche HotSpots). Wir begleiten Marcus, ein cooler Dude, der mit der Gruppe DedSec (hello, Anonymous) versucht, für mehr Datensicherheit und Datenkontrolle einzustehen und die global Player zu entlarven und auszuschalten.
Das Spiel ist pickepacke voll mit Inhalten und Referenzen, es kritisiert, es lobt, es prangert an. Ein Arschlochkind wird in Sachen „swatting“ erzogen, es gibt einen Seitenhieb Richtung Kinect, die Probleme bei der Erkennung von dunkler Haut hatte und der Drecksack Martin Shkrelli (siehe oben), der Medikamentenpreise drastisch steigert und dann für 2 Millionen das Wu-Tang Clan Album kauft und das alles völlig ohne Skrupel, Anstand oder Moral, bekommt eine schöne Abreibung. LGBTQ* Menschen spielen eine prominente Rolle, es geht um Gleichberechtigung und Freiheit, überall hängt die Regenbogenflagge und mein Marcus läuft an sonnigen Tagen mit einem Pride Shirt herum. Ubisoft hat sich dabei bemüht, die Moralkeule wenigstens so zu schwingen, dass sie sich super in die Welt und die Erzählstruktur fügt und man wirklich Bock hat, die Sidemissions abzuklappern.
Die Hauptstory an sich ist spannend erzählt, übertreibt komplett, aber wir befinden uns auch in einem Videospiel, also darf sie ruhig auf den Putz hauen. Das alles schafft ein enormes Maß an Spielspaß und Unterhaltungswert. Ich habe wieder ein ganz neues und tiefergehendes Interesse an Technologie, Datensicherheit und tatsächlich Drohnenfliegen bekommen, das auch über das Spiel hinaus geht. Ich habe einfach ganz viel Spaß. Ich mag GTA nicht und freue mich daher umso mehr, dass Watchdogs 2 das ist, was Mafia 3 hätte werden sollen: Mein neues Lieblings Open-World Spiel. Zumal diese Welt komplett lebendig zu sein scheint: Überall kann ich Textmessages mitlesen, bei Telefonaten zuhören und Gesprächen lauschen, die alle irgendwie authentisch wirken.
So. Das klingt eigentlich, als wäre alles pipifein – das stimmt aber leider nur zum Teil. Als ich den ersten Trailer gesehen habe, hatte ich keine Lust auf das Spiel, weil ständig geschossen wird und alles sehr actionlastig ist. Und diese Befürchtung hat sich leider bestätigt. Das ist schade und komplett unnötig und eigentlich zerstört das all die guten Sachen, die dieses Spiel bietet. Waffen werden mit dem 3D Drucker erstellt und wenn bei einem Auftrag etwas schief geht, dann schießt man sich einfach durch die Prärie. Das ist aus ganz vielen Gründen ungut.
Zunächst einmal spielen wir eine Vereinigung, mit deren Grundsätzen ich mich zumindest weitgehend identifizieren kann. Es sind Nerds und Geeks, die sich zusammengeschlossen haben, um den Reichen und Mächtigen ans Bein zu pissen, mit Wissen, Können und Kreativität. Das Marcus als Parcourläufer überall hochklettern kann ist super gelöst und mit Jumper (ein ferngesteuertes Auto) und Quadcopter können so gut wie alle Missionen gelöst werden, teilweise ohne dass wir uns überhaupt in die Gefahrenzone begeben müssten. Warum also die Waffenoption? Warum bietet ein Spiel, dass inhaltlich so viel richtig macht überhaupt an, dass dabei jemand getötet werden kann? Und noch viel schlimmer: Egal, wie es versucht wird zu erklären, es ist eine SCHANDE, dass Ziel einer Mission ist, Leute zu „neutralisieren“. What the fuck?! Und so lustig und nett die Idee auch ist, dass man Leute fälschlicherweise „swatten“ kann: Haben wir das nicht gerade erfolgreich angeprangert? Und dabei kann man das schon mal machen, aber die Betroffenen werden immer erschossen. Was haben sie sich dabei gedacht?
Fragen über Fragen, die mir niemand beantworten kann und die mich mehr und mehr ärgern, enttäuschen und nerven, desto länger ich mir über sie Gedanken mache. Es gibt auch für nichts eine Strafe – ich renne munter durch die Gegend und klaue Leuten, die auf der Straße schlafen, Geld, weil das eben random ist und auch absolut kein Nachspiel hat. Von einem Spiel, dass mir all die schönen Geschichten, Referenzen und vor allem Moral bietet, wünsche ich mir, dass es auch zuende gedacht wird. Der Schusswaffengebrauch ist ein Crowd-Pleaser für CallofDuty-Kiddies, die zu faul sind, sich mal zwei Minuten hinzusetzen und einen „Hacker“-Weg durch die Gefahrenzone zu finden, anstatt mit dem frisch ausgredruckten Granatenwerfer durchzurennen.
Das Schlimme ist – sie haben es vermutlich selbst gemerkt. Denn es wird tatsächlich thematisiert, aber nicht genug, dass es relevant wäre. Für meinen Geschmack ist das eine ziemlich bittere Entscheidung und ich wünsche mir, dass man den Mut hat, sowas mal ohne unnötige Waffen durchzuziehen. Im Übrigen ist die Stun-Gun, die man von Beginn an besitzt, eh die beste Waffe. Schlussendlich ist Watchdogs 2 trotzdem ein wahnsinnig schönes, unterhaltsames und innovatives Spiel, dass lang genug bei der Stamge hält und ganz viel richtig macht – und genau deswegen den Nährboden für Kritik bietet, weil es eben versucht, den warnenden Zeigefinger hochzuhalten.
Watchdogs 2
Publisher: Ubisoft
Entwickler: Ubisoft
Plattform: PC, Xbox One, PS4
bereits erschienen