Für mich gibt es kaum ein Spiel, das so besonders ist, wie The Last Guardian. Zum einen war ICO immer eines meiner Lieblingsspiele, wenn nicht sogar das Lieblingsspiel. Zum anderen habe ich noch nie so lange, beharrlich, vehement und unbeirrt, entgegen aller Stimmen, auf ein Spiel gewartet – auch wenn es hieß, es würde niemals mehr erscheinen. Doch ich wurde belohnt: Es ist alles, was ich immer haben wollte.
Die Welt, die ICO, Shadow of the Colossus und nun auch The Last Guardian zeigen, ist einzigartig. Ihre Architektur ist grotesk, verwinkelt, voller Ruinen und Symbole, die bis zuletzt unerklärt bleiben. Fumito Uedas Welten sind immer vollkommen verlassen, es gibt kaum anderen Menschen – zuweilen nicht einmal andere Lebewesen, abgesehen von ein paar Echsen. Die Farbpaletten sind so entsättigt und überbelichtet, man kann sie von nur einem einzigen Screenshot identifizieren. Was vom Spieler als Gegner und das „Böse“ empfunden wird, ist dabei immer in eine wabernde schwarze Masse gehüllt, die fast organisch wirkt. Signifikante Elemente, Symbole, Schalter und Gegner fluoreszieren häufig. Die Soundtracks aller drei Spiele sind bezaubernd und stimmungsvoll. Und alle drei „Teile“ sind harte Arbeit, ein bisschen unheimlich, tragisch und gleichzeitig wunderschön und traurig.
Wenn man seit der ersten Ankündigung 2009 auf ein Spiel wartet, dann sind die Erwartungen in der Regel so hoch, dass sie nur enttäuscht werden können. The Last Guardian war es allerdings wert, dass man auf ihn wartet, denn offenbar hat er eben genauso lange gebraucht, bis er fertig war. Für mich ganz persönlich ist das Spiel ein Meisterwerk, das sich perfekt hinter seinen Vorgängern einreiht.
Wir spielen einen kleinen Jungen, der in einer Höhle aufwacht und neben sich ein schlafendes Ungetüm, irgendwas zwischen Vogel, Hund und Katze, entdeckt. Die Erzählerstimme des erwachsenen Ichs unserer Spielfigur, gibt immer wieder Hinweise auf die aktuelle Spielsituation. Unsere erste Aufgabe ist es, das Biest von Speeren zu befreien und mit Fässern voller leuchtender Substanz zu füttern. Ist das geschafft, begeben wir uns mit unserem neuen Gefährten auf die Reise hinaus aus unserem „Gefängnis“. Auf unserem Weg warten nicht nur eine Menge Hebel, Tore und Vorsprünge, sondern auch eine Art Tonkrieger, die unseren Jungen schnappen und durch ein Tor ins Licht bringen wollen. Dieselbe Kraft, die diese Krieger antreibt, scheint auch unseren Begleiter Trico immer wieder aggressiv zu machen. Zudem fühlt dieser sich von wie Traumfänger oder Windspiele gestalteten, farbigen Glasaugen hypnotisiert, was uns vor immer neue Herausforderungen stellt. Unser Ziel ist es, ganz nach oben zu gelangen, egal wie.
Die Steuerung ist, wie bei beiden Vorgängern, mühsam, konterintuitiv, hakelig, und ungenau. Wo bei jedem anderen Spiel „springen“ auf X ist, ist die Taste hier mit „Loslassen“ belegt, für das man reflexartig „O“ drückt, welches hier „Festhalten“ bedeutet. Alles ist ein bisschen anders und erfordert daher auch ziemlich viel Konzentration. Und ja, ich habe laut geflucht und bin mehr als einmal sinnlos in den Abgrund des Todes gefallen. Die Bewegungen des Jungen sind ungeschickt und ungelenk, was die Sache auch nicht unbedingt leichter macht. Umso beeindruckender ist es, wie stark die emotionale Ebene dieses Spiels sein muss, um mich trotzdem bis zum Schluss zu fesseln.
Die Bindung, die zwischen den beiden Protagonisten entsteht, ist nicht nur spielerisch, sondern auch erzähltechnisch berührend. Aus vornehmlichem Unbehagen, Unverständnis und Vorsicht wird nach und nach eine tiefe Freundschaft und blindes Vertrauen. Ohneeinander können sie sich nicht befreien, beide haben besondere Talente, die sie fürereinander unentbehrlich machen. Trico kann die Tonkrieger ganz einfach besiegen, während wir schneller und gewandter sind als unsere Gegner. Trotzdem befinde ich mich vorzugsweise auf Tricos Rücken, wenn wir angegriffen werden. Dort kann ich gleich die Speere aus seinem geschundenen Körper ziehen und er trampelt die Wichte einfach nieder: Win-Win. Ein für Team Ico Spiele typisches und sehr schönes Element ist das „Streicheln“ von Trico, das ihn nicht nur beruhigt und seine blutigen Wunden heilt, sondern auch die Verbindung der beiden – zumindest in meinem Kopf – stärkt.
Das Ende des Spiels lässt viele Fragen offen, aber das gehört wohl auch dazu. Es ist wunderschön und emotional, wie sich das gehört. The Last Guardian schafft es, mich komplett einzunehmen und hinterlässt erst einmal eine tiefe Leere – wie nach einem ausgelesenen Buch oder der letzten Folge einer Serie. Bevor ich eine neue Geschichte anfange, muss ich mir wahrscheinlich ein bisschen Zeit lassen und das verarbeiten. Es ist ein perfektes Winterspiel: Düster, traurig, melancholisch. Deswegen sollte man es auch noch spielen, bevor es wieder hell wird und alle fröhlich sind. Böse Zungen könnten jetzt sagen: „Du wolltest ja auch unbedingt, dass es gut wird und jetzt redest du es dir schön, verdammtes Fangirl. Das ist alle mühsam und nervig.“ Gar nicht (okay, vielleicht ein bisschen.)
The Last Guardian
Entwickler: Fumito Ueda
Publisher: Sony
Plattform: Playstation 4
bereits erschienen