Her Story: Der Sog des Geheimnisvollen

Her-Story-Cover
Her Story (Bild: Sam Barlow)

Polizeiarbeit ist langweilig und Verhörprotokolle sind staubtrocken! Oder? Das mag in der Realität vielleicht so sein, doch Her Story beweist zumindest in der virtuellen Welt das Gegenteil. Der Spieler taucht hier ganz tief in die Faszination von Kriminalfällen und ihren überraschenden Wendungen ein.

 Ich sitze vor einem flimmernden Röhrenbildschirm in einem abgedunkelten Raum und versuche, per Stichwortsuche Videos zu finden. Nein, das ist keine Beschreibung meines traurigen Alltages und der alltäglichen Prokrastination auf Youtube. Es beschreibt kurz das Spielprinzip von Her Story. Das von Sam Barlow (übrigens Autor von Silent Hill: Shattered Memories) entwickelte Adventure hat mich in seinen Bann bezogen wie seit langem kein anderes mehr. Vorab: Ich mag Adventures eigentlich gar nicht so sehr und auch Rätselelemente waren nie mein Spezialgebiet. Her Story hat es trotzdem geschafft, mich bei schönstem Wetter stundenlang an meinen Bildschirm zu fesseln.

 Das Spielprinzip – so raffiniert wie simpel

Warum das so ist, hat mehrere Gründe. Der Hauptgrund ist für mich eindeutig, wie sehr Spielmechanik und Story verknüpft sind. Wie anfangs schon beschrieben, sucht der Spieler nach Videos. Diese sind Schnipsel von sieben verschiedenen (fiktiven) Verhören mit einer jungen britischen Frau, Hannah Smith.

Anfangs ist nur klar, dass ihr Ehemann Simon verschwunden ist. Um mehr Hinweise zu finden, muss der Spieler per Stichwortsuche in weiteren Videos nach neuen Hinweisen suchen. Das Spiel geht hier schon einen ungewöhnlichen Weg: Das Interface ist eine Datenbank, abgebildet auf einem alten Röhrenbildschirm. Die Hintergrundinfos zum Spiel liefert eine „Readme“-Datei auf dem virtuellen Desktop und auch alle anderen Zusatzprogramme sind als Verknüpfungen dargestellt. Tip: Auch mal in den Papierkorb schauen!

Das Interface von Her Story (Bild: Sam Barlow)

Die Suche liefert mir dann, je nach Stichwort, bis zu fünf verschiedene Ausschnitte, die man sich ansehen und mit eigenen Stichworten versehen kann. Außerdem lassen sich Videos in einem Zwischenspeicher ablegen, um einen besseren Überblick über zusammenhängende Videos zu haben Das Spiel gibt hier aber nur bedingt Hilfe, welche Hinweise wichtig sind. Nachdem ein Video mit relevanten Hinweisen endet, flackert der Bildschirm kurz und zeigt eine Reflektion der Person vor dem Bildschirm. Das Spiel sagt mir aber nicht, welches Detail aus den mitunter mehrere Minuten langen Videos wichtig war. Und auch Schnipsel, auf die kein Flackern folgt, können wichtig sein. Wer also den Geheimnissen rund um Simons Verschwinden auf den Grund gehen will, muss sich voll auf die Story einlassen. Außerdem entdeckt der Spieler auf seiner Reise viele Nebenstränge, die nichts mit dem Fall an sich zu tun haben, aber einfach spannende Details darstellen.

Nach und nach lassen sich auf diese Weise immer mehr Hinweise freischalten. Wie viele Ausschnitte man schon gefunden hat, läst sich mit Hilfe des „DB-Checkers“ auf dem Desktop überprüfen.
Weiterhin werden bisher ungesehene Videos mit einem stilisierten Auge markiert, damit der Spieler nicht alles zweimal ansehen muss.

Hier hat Her Story mich einfach rundum begeistert. Ich liebe detaillierte Storylines und die Möglichkeit, diese selbst zu erkunden. Ich habe mich dabei ertappt, völlig unwichtigen Details zu folgen, einfach weil es mir so schön präsentiert wurde. Dafür habe sogar ich gerne gerätselt, welches Stichwort wohl zum nächsten Video führt. Einziger Nachteil dieser Mechanik: Schnell erschließen sich dem Spieler einzelne Schlagwörter, mit dem sich die Konklusion der Story relativ leicht vorziehen lässt. Damit betrügt man man sich aber höchstens selbst. Es empfiehlt sich also, langsam und Schritt für Schritt vorzugehen und die eigene Neugier manchmal zu zügeln.

 Eine Story voller Überraschungen

Her Story hat weder die innovativste noch die tiefgängigste Geschichte. Aber nicht nur der Weg, wie der Spieler die Story erfährt, sondern auch viele der Wendungen machen sie einzigartig. Oft genug hatte ich Momente, in denen ich mit leuchtenden Augen das neueste Detail erfuhr und mich freute, richtig kombiniert zu haben. Und jeder Spieler erfährt die Geschichte anders. Sie wiederzugeben, wäre daher nicht nur ein sehr Spoiler-lastiges Unterfangen, sondern auch sehr langwierig. Auch wenn ich relativ schnell wusste, wohin mich das Spiel führen wird, so habe ich bei weitem noch nicht alle Details entdeckt und alles verstanden.

Eine kurze Zusammenfassung ist allerdings schon nötig, um eine Vorstellung vom diesem Spiel bekommen zu können. Wie bereits beschrieben, dreht sich alles um das Verschwinden von Simon Smith. Seine Frau Hannah meldet dies bei der Polizei und gibt die ersten Hinweise. Je tiefer der Spieler sich in die Videosammlung gräbt, desto mehr wird klar, dass Hannah keineswegs einfach nur verzweifelt ihren Mann sucht. Wer jetzt hinter Hannah direkt die Schuldige vermutet, irrt. Vielmehr entdeckt der Spieler nach und nach ein dichtes Netz aus Täuschungen, Lügen und Schicksalen, in das Hannah und Simon schon seit Jahren verwickelt sind.

Her-Story- Videoschnipsel
Die Videos wirken dank der guten Schauspielleistung von Viva Seifert sehr überzeugend (Bild: Sam Barlow)

An einem gewissen Punkt im Spiel wird man von einem Unbekannten per Chat gefragt, ob man die Lösung kennt. Hier kann man quasi aus dem Spiel aussteigen. Was man aber nicht unbedingt tun sollte. Es lohnt sich, die Geheimnisse des Spiels tiefer zu erkunden, gerade wenn man die Lösung schon kennt.

Gerade weil es so viele Videos und Kombinationsmöglichkeiten gibt, lässt sich kaum eine feste Spielzeit angeben. Ich selbst kannte nach etwa 3 Stunden die groben Umrisse der Handlung, es kann aber auch wesentlich länger dauern, wenn man sich anfangs auf unwichtige Nebenstränge der Handlung fixiert oder einfach nicht auf die richtigen Wörter kommt. Oder einfach, weil man sich viel Zeit lässt und so wie ich jedes Detail erkunden will. Das Spiel hält alle Möglichkeiten offen, es gibt keine perfekte Vorgehensweise.

Ein interaktives Buch – innovativ und unglaublich spannend

Her Story hat mich in jeder Hinsicht überrascht. Ich war eher skeptisch, ob mich ein Adventure begeistern kann. Kann es – und wie! Für mich ist Her Story eines der innovativsten Spiele, dass ich in den letzten Jahren zu sehen bekommen habe. Wobei hier Spiel schon fast nicht mehr die richtige Bezeichnung ist. Obwohl ich aktiv am Geschehen beteiligt war, erschien es mir eher, als würde ich ein Buch Seite für Seite entdecken. Ich entwarf eigene Theorien, wurde eines besseren belehrt, fieberte mit neuen Entwicklungen mit und war vom Ende begeistert.

Her Story ist wirklich wie ein Kriminalroman – nur ist es meine Aufgabe, die Seiten in die richtige Reihenfolge zu bringen. Es ist mal wieder eines dieser Spiele, denen ich durchaus ästhetische und künstlerische Elemente zuschreiben würde, einfach, weil es die Fantasie so sehr anregt und auf gewisse Art und Weise intermediär funktioniert.

Wer mal wieder nach etwas Abwechslung von The Witcher 3 und Co. sucht, ist hier richtig. Und selbst wer eigentlich nach gar nichts sucht, sollte einen Blick auf Her Story werfen, es lohnt sich!

 

Her Story
Plattform: PC, iOS, MacOS X
Entwickler: Sam Barlow
Publisher: Sam Barlow
Bereits erschienen (24. 6. 2015)

Spiel-/Entwicklerhomepage

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