Animationsfilme für Kinder sind meistens sehr fröhlich, manchmal ein bisschen traurig und lehren uns und den Kindern etwas fürs Leben – das schaffen sie mal besser, mal schlechter. Im Falle des Oscar – nominierten Schweizer Stop-Motion-Film Mein Leben als Zucchini haben wir einen ganz heiklen Fall dieser Lebensweisheiten, der vor allem nichts für schwache Eltern ist.
Mein Leben als Zucchini spielt in einem Waisenhaus und man wird nicht mit der Tragik eines solchen Ortes verschont: drogenabhängige Eltern, abgeschobene Eltern, ein Vater, der vor den Augen der Tochter erst seine Frau und dann sich selbst umbringt – das sind nur Auszüge aus den Leben der liebenswerten kleinen Bewohner des „Haus der Springbrunnen“. Polizist Raymond hilft Zucchini nach dem Tod der Mutter dabei, sich in das neue Leben im Heim einzufinden. Er selbst sieht seinen Sohn nicht oft und verbringt deshalb gern Zeit mit Zucchini. Die Kinder haben alle ihre Eigenarten. Sie machen ins Bett, stopfen sich mit Essen voll, haben nervöse Ticks oder überspielen ihre Unsicherheit mit Gemeinheiten. Trotzdem sind sie alle Freunde, lachen zusammen, spielen zusammen und sind füreinander da. Zucchini findet sogar seine erste Liebe.
Entstanden ist das audiovisuell beeindruckende Stück mit Profi- und Laiendarstellern, die dem Film eine ganz besondere emotionale Tiefe geben – sowohl im Original als, auch in der deutschen Ausgabe. 25 Puppen wurden auf über 60 Kulissen und 15 Sets mit einem guten Auge fürs Detail inszeniert. Vor allem gelungen sind das diverse Charakterdesign und die ausdrucksstarken Gesichter, die mit sehr viel Herzblut geschaffen zu sein scheinen und so richtig auf die Tränendrüse drücken- und wo noch nachgeholfen werden muss, tut der pointiert eingesetzte Soundtrack von Sophie Hunger sein übriges.
Das wunderbar einfühlsam adaptierte Drehbuch basiert auf „Autobiographie D‘une Courgette“ von Gilles Paris und nähert sich diesem schwierigen Thema mit der größtmöglichen Sorgfalt und Zuversicht. Natürlich ist es unfassbar traurig, was da passiert – aber vermutlich bedrückt das Erwachsene erst mal viel stärker als Kinder. Wir fühlen den Weltschmerz und wir wissen, was das eigentlich alles bedeutet. Wir sehen, was sich hinter den bezaubernden Puppen versteckt und deswegen glauben wir vielleicht, das sei nichts für Kinder, sondern nur für Erwachsene. Aber das stimmt nicht, jedenfalls nicht, wenn wir Kindern etwas zutrauen und bereit sind, ehrlich ihre Fragen zu beantworten. Denn Fragen wird es geben – was ist da passiert, warum bringen Menschen andere Menschen um, warum wird die Mama von Béatrice abgeschoben und woher kommen eigentlich die Babys (ja, es geht auch um die Entdeckung der kindlichen Liebe)? Wer auch immer sich mit einem Kind diesen Film ansieht, wird einige Fragen beantworten müssen, deren Antwort nicht unbedingt angenehm ist. Aber sie betreffen Probleme, mit denen Kinder überall auf der Welt konfrontiert werden. Weil wir das so schlimm finden, glauben wir, dass Kinder damit nicht umgehen können und manche Kollegen sind davon überzeugt, dass dieser Film eben nichts für Kinder ist.
Dabei unterschätzen sie meiner Meinung nach die aufgeweckte und empathische Art, wie Kinder mit Tragödien umgehen können, wenn sie dabei begleitet werden und ehrliche Antworten auf unbequeme Fragen bekommen. Vielleicht kennen sie Kinder, denen es nicht so gut geht, oder haben mal aus Versehen die Nachrichten gesehen – und dann ist es doch wertvoll zu wissen, dass sie sich mit Tragik auseinandersetzen können. Außerdem sind die stärksten und präsentesten Momente von Mein Leben als Zucchini jene, in denen die Kinder voller Lebensfreude und Hoffnung sind. Sie fahren in den Urlaub, sie tanzen zu „Eisbär“ von Grauzone, sie spielen und lachen und sind ganz normale Kinder, die zwar einen holprigen Start ins Leben hatten. Aber es schaffen, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Es ist ein mutiger, lebensbejahender und einfühlsamer Film, der zu Tränen rührt.
Mein Leben als Zucchini (Ma Vie De Courgette)
R: Claude Barras
D: Céline Sciamma
66 Min, Filmstart: 16.02.17