„I know it’s hard to tell how mixed up you feel“
– Illusions; VNV Nation
Mit dieser Songzeile geht Hellblade: Senua’s Sacrifice nach einem storytechnisch und optisch beeindruckenden Finale in den Nachspann über und diese Songzeile – vermutlich äußerst pointiert gewählt – spiegelt meine Gefühle für das neueste Spiel von dem tapferen Studio Ninja Theory wieder.
Gekauft habe ich Hellblade, weil Ninja Theory einfach unterstützt gehört. Nicht etwa, weil ich Spiele wie Enslaved oder DMC so unglaublich großartig finde (es gibt bessere), sondern weil sie sich als eine der wenigen trauen, im Mainstream-Markt der Fortsetzungen und Aufgüsse ihr eigenes Ding zu drehen.
Diese Stimmen machen mich irre
Hellblade: Senua’s Sacrifice ist ein ganz besonders eigenes Ding geworden. Auf den ersten Blick könnte man meinen, in dem Spiel ginge es um die Piktenkriegerin Senua, die in schönster Orpheus-Manier ihren Geliebten Dillion aus der germanischen Unterwelt Helheim befreien möchte. Wie falsch man mit dieser Ansicht liegt und dass in diesem Spiel nicht immer alles so ist, wie es scheint, erfahren wir schon in den ersten Spielsekunden. Senua fährt durch den Nebel auf eine Insel zu. Eine Insel, auf der die Pforte zu Helheim liegen wird. Aus den Lautsprechern (das Spiel selbst empfiehlt Surround-Kopfhörer) tönen mehrere Stimmen, die Senuas Reise kommentieren. „Sie sollte umkehren!“, „Ist das der richtige Weg?“ und derlei flüstert es hinter Senuas Rücken, die wir aus der Third Person spielen werden. Diese Stimmen werden wir nicht so schnell los und diese Stimmen treiben uns Spielende zunächst selbst in den Wahnsinn. Ich hab dieses ständige Gemurmel und Gestreite (oft sind sich die Stimmen nicht einig) fast nicht ausgehalten, wobei man sich irgendwann daran gewöhnt. Senua leidet unter diversen Psychosen, die sich durch Panikattacken, Halluzinationen, schrecklichen Flashbacks und eben jene Stimmen auf das Spielgeschehen auswirken. Es sind diese Psychosen, um die es in Hellblade: Senua’s Sacrifice eigentlich geht und spannenderweise sind sie es, durch die wir Senuas tragisches Schicksal erfahren. Ninja Theory ist es gelungen, durch die Darstellung dieses Krankheitsbilds eine ganz neue Ebene des Storytellings zu erreichen.
Mehr als Mythologie
Es geht in Hellblade nicht um keltische Mythologie. Es geht in Hellblade auch nicht ausschließlich um Psychosen. Es geht in Hellblade um eine junge Frau, die anders als ihre Mitmenschen ist. Hellblade spielt in einer Zeit, in der man seine psychischen Probleme nicht eben auf die Couch beim Therapeuten oder der Therapeutin des Vertrauens besprechen konnte. Senua leidet unter ihrer Andersartigkeit. Sie sieht Dinge und Muster im Leben, die andere nicht sehen. Sie hört Stimmen, die andere nicht hören. Schnell ist sie als verflucht abgestempelt, was ihr und den Menschen, die sie liebt, ein schweres Leben bereitet. Obwohl das Szenario zeitlich stark entrückt ist, ist Hellblade aber ein sehr akkurates Spiel geworden.
Verschiedene Realitäten
Wie das beigelegte Making-Of zeigt, hat man bei der Produktion nicht nur diverse Universitätsprofessoren zu Rate gezogen, die sich mit Psychosen auskennen, sondern auch mit Betroffenen gesprochen. Ziel war es, eine kitsch- und klischeefreie Darstellung dieser Krankheiten zu kreieren, die es den Spielenden ermöglicht, nachzuempfinden, wie ein Leben mit dieser anderen Wahrnehmung ist. Das dürfte Ninja Theory ganz gut gelungen sein und so ist die Antwort auf die Frage, ob das Geschehen in Hellblade nun in der (spielinternen) Realität oder nur in Senuas Kopf stattfindet, irrelevant, denn für Senua ist das Durchlebte real.
Runen-Rätsel ohne Ende und Abwechslung
Bei all der Freude über den außergewöhnlichen Zugang und das ungewöhnliche Setting, müssen leider auch einige Punkte erwähnt werden, die manche als Kritik sehen könnten. Zunächst ist das Spiel sehr kurz. Des Weiteren sind die Kämpfe gegen die immer gleichen Gegner erstaunlich mühsam und langweilig und als letzter Punkt seien die wiederkehrenden Rätsel erwähnt. Nahezu immer muss man in der Landschaft gewisse Runen erkennen, um die nächste Tür zu öffnen. Abwechslung schreibt man anders. Ich persönlich sehe über diese Kinkerlitzchen aber hinweg und genieße eines der großartigsten Erlebnisse, das man auf dieser Konsolengeneration haben kann.
Freud hätte mit Hellblade seine Freude
Auf der positiven Seite seien die fantastische Grafik, das großartige Charakterdesign, die ungewöhnlichen (und sich leider wiederholenden) Rätsel, das tolle Setting und das noch tollere Storytelling erwähnt. Während man sich mit Senua ihren Ängsten stellt, erschließt sich nach und nach ihre Biografie, in der es wenig Götter, aber psychologisch komplizierte Beziehungen gibt. Der Fokus des Spiels liegt eindeutig auf der Erzählung, denn eigentlich ist Hellblade ein Spaziergang. Beziehungsweise wäre es ein Spaziergang, wäre da nicht der ständig drohende Permadeath, der wie ein Damokles-Schwert über mir schwebt und der jedem Spieltod einen bitteren Beigeschmack verleiht.
Permadeath Paranoia
Schon bald nach Beginn des Spiels befällt eine schwarze Fäulnis Senuas Arm. Mit jedem Tod kriecht diese Fäulnis von den Fingern ihren Arm weiter Richtung Kopf hoch. Per Texteinblendung (eine der wenigen, Hellblade kommt genialerweise komplett ohne HUD oder Tutorial aus) werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass das Spiel unsere Saves löscht, wenn die Fäulnis ihr Gesicht erreicht. Mit diesem Wissen entwickeln wir eine Paranoia, die uns gesunden Spielenden Senuas Psychosen auf simple aber anschauliche Art näher bringt. Das ist ein geniales Stilmittel, denn trotz dieser drohenden Gefahr ist das Spiel nicht allzu schwer und eigentlich ist diese Drohung damit nichts als heiße Luft. Ein schlechtes Gewissen habe ich dennoch nach jedem Tod.
Fazit: Pflichtspiel
Hellblade hat seine Schwächen. Die Kämpfe sind langweilig und es ist repetitiv. Dafür ist das, was sich wiederholt, einigermaßen erfrischend und hat mir die meiste Zeit eigentlich auch Spaß gemacht, weil es nie sonderlich anspruchsvoll war und man so – der tollen und interessanten Geschichte folgend – recht rasch durchspazieren kann. Die Stärken überwiegen aber so stark, dass ich dieses Spiel nicht nur jedem Menschen mit PS4 (oder PC) dringlich ans Herz legen will, sondern es auch gleich als eins der bedeutendsten Spiele des Jahres feiern möchte. Danke Senua für diesen großartigen Albtraum. Es war mir eine unglaubliche Freude! Hellblade gelingt es, zu fesseln, zu verstören und gleichzeitig leistet es etwas, das nur wenig andere Spiele oder Filme schaffen: Es ermöglicht eine neue und nachvollziehbare Perspektive auf eine Lebensweise, mit der viele Menschen tatsächlich konfrontiert sind, ohne diese vorzuführen oder zwecks der Dramatik klischeehaft zu karikieren.
Hellblade: Senua’s Sacrifice
Plattform: PS4, PC
Entwickler : Ninja Theory
Publisher Ninja Theory
bereits erschienen (8.8.17)