Diagonale 2016 – Eine Rückschau

2_Diagonale_Logo_Flagge_schnitt

Jeden März beginnt der Frühling und ebenfalls jährlich im März bewegen sich große Teile der österreichischen Filmbranche nach Graz um ihre Leistungsschau, die Diagonale – Festival des österreichischen Films, abzuhalten – und vor allem um sich selbst zu feiern.

Seit 1998 findet die Diagonale nunmehr in Graz statt und diese Wahl ist durchaus verständlich, da beide, Graz als auch der österreichische Film vor allem eins gemeinsam haben – sie wollen mit aller Vehemenz mehr sein als sie eigentlich sind. Graz steht als zweitgrößte Stadt Österreichs seit jeher im Schatten Wiens – zahlenmäßig (flächenmäßig als auch in Einwohner- und Zuzugsdimensionen) als auch historisch (jeder historisch bewandte Mensch kennt den Wiener Kongress, ein Grazer Äquivalent ist auch für die absehbare Zukunft nicht in Sicht). Wenn man sich nun aber durch Graz bewegt, ist die erste Feststellung, dass es sich hier um eine für Österreich untypisch dynamische Stadt handelt. Das Stadtviertel Jakomini ist ein Musterbeispiel eines hippen Kreativbezirks, in dem man sich wohl fühlt, ohne zugleich von imperialer Größe erschlagen zu werden (Wien 6, Mariahilf, schneid dir ein Scheibchen ab!). Um das Kunsthaus (den Friendly Alien) hat sich in den letzten Jahren auch die Stadt sehr lebendig verändert und verschiedenste Cafés (wie das großartige Tribeka) und Bars (hier ist die gesamte Lendplatzgegend schwer zu empfehlen) hervorgebracht.

Die Parallele ist unübersehbar. Es handelt sich bei beiden um Entitäten die in ihrem regionalem Raum kaum wahrgenommen und bestenfalls belächelt werden, global relativ irrelevant sind und auf europäischer Ebene nur durch Kultursubventionen glänzen können. Aber wenn man sie mal entdeckt hat, ist man fasziniert als auch verliebt und verliert sein Herz daran. Man ahnt, dass die Diagonale dadurch ein Problem mit ihrer Publikumsstruktur hat, da der österreichische Film nicht die Menschen anspricht, die er ansprechen sollte – den durchschnittlichen Kinogeher – und das Festival damit mehr einer einwöchigen Branchenparty ähnelt.

Blick auf Graz ©Diagonale/Pribernig
Blick auf Graz ©Diagonale/Pribernig

Unter diesen Vorraussetzungen haben Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber, ein vorher schon gut geführtes, Festival übernommen um etwas zu versuchen was in den letzten 15 Jahren schwer erreicht wurde (ich erwähne hier ausdrücklich dass dies nie die Schuld der LeiterInnen war, sondern will das Augenmerk auf das eklatante Marketingproblem des Österreichischen Films im Generellen lenken, das natürlich auf die Performance der österreichischen Filmleistungsschau abfärbt) – neue branchenferne Festival- und Kinogeher zu gewinnen. Um das zu erreichen gäbe es zwei Möglichkeiten. Mehr Filme zu zeigen oder versuchen die Akkreditierten vermehrt zu Diskussionsveranstaltungen zu bewegen. Da mit dem Absprung eines großen Festivalsponsors vor einigen Jahren das Filmprogramm aufgrund der nicht mehr möglichen Anmietung eines zusätzlichen Kinosaals dezimiert werden musste bietet sich nur mehr Option 2 an. Und damit hat die diesjährige Diagonale Innovationscharakter gezeigt.

Mit dem Festivalstart am Weltfrauentag, stand ein Großteil aller Veranstaltungen unter dem Banner des Themas ‚Gleichberechtigung‘. Nicht nur wurden nach wie vor ausstehende Frauenquoten diskutiert (die in einer durch die Steuer subventionierten Branche aufgrund der österreichischen Verfassung – Diskriminierung oder so – eigentlich schon längst da sein sollten), sondern auch das ewig frische und gegenwärtig noch frischere Thema der Migration – natürlich im Kontext mit Film – diskutiert.

Gewonnen hat allerdings das neue Diskussionsformat des ‚Breakfast Club‘. Nicht nur, weil es eine schöne Anspielung auf einen meiner All-Time-Favourite Filme ist, sondern vor allem, weil hier die Diskussion unter allen Teilnehmenden auf Augenhöhe stattfand und die Vernetzung aller wunderschön unausweichlich war. Ein großes Dankeschön an Cinema- Next für dieses innovative Diskussionsformat! Die zweitgrößte Neuerung war die Etablierung des Partyraums im Haus der Architektur. In den letzten Jahren noch als Gästezentrum genutzt, wurde der dortige Raum heuer zu einem großen Dancefloor mit großer Bar umfunktioniert, was der betrunkenen Vernetzung spätabends enorm zuträglich war, da sich diese nicht mehr quer durch Graz verteilt sondern an einem neuralgischen Punkt abspielte.

https://www.youtube.com/watch?v=nCKEvgF-KJI

Aber ein Filmfestival findet natürlich auch zu großem Maße im Kino statt. Dort präsentierten unter anderem Edgar Honetschläger (ihm wird diesen Monat eine Werkschau im Metrokino gewidmet – gehet hin, gehet hin!) seinen formalistisch philosophischen und künstlerisch ausdrucksvollen Film Los Feliz, ein Film der die Sehgewohnheiten herausfordert und gleichzeitig die Herstellungsbedingungen diverser Kulturgüter der westlichen Welt hinterfragt, und auch Daniel Hoesl seinen neuen Film WinWin (sein Debutfilm Soldate Jeannette lief 2013 auf dem Sundance Filmfestival. Ja, DEM Sundance Filmfestival). Hoesls Filmsprache ist bemerkenswert anders und geht einen völlig neuen formalistischen Weg, der ebenfalls mit herkömmlichen Sehgewohnheiten bricht aber die Möglichkeiten des Mediums völlig ausreizt.

Der einzig stark ablesbare Trend im Festivalprogramm, war durch die Abwesenheit von Wettbewerbsfilmen durch ‚große etablierte Namen‘ zu erahnen, was aber keine schlechten Nachrichten sein müssen. Neue kreative Talente bedeuten neue Geschichten, die – hoffentlich – mehr Menschen in die Kinos oder vor welche wie auch immer geartete Devices ziehen und unterhalten. Während die Kurzfilmprogramme die Talente der Filmschaffenden von morgen präsentierten, zeigten im Spielfilm und Dokumentarfilmprogramm vor allem Erstlingsfilmemacher ihr Talent. Hier seien vor allem der Spielfilm Einer von uns von Stephan Richter und der Dokumentarfilm Korida von Sinisa Vidovic erwähnt.

Beide sind hochpolitische Filme ohne jemals Schuldzuweisungen zu machen. Stephan Richter trifft die Lebensrealitäten im suburbanen, halbruralen Raum Österreichs punktgenau und zeichnet kommentarlos wohin Langeweile und Ausweglosigkeit führen. Mit Korida bringt uns Sinisa Vidovic einer mehr als 240 Jahre alten Tradition in Bosnien näher, den Korida-Stierkämpfen, doch im Eigentlichen ist der Film eine Bestandsaufnahme von Nachkriegs-Bosnien, das die Teilung in religiöse Ethnien noch nicht überwunden hat.

Der österreichische Film mag sich in seiner Gesamtheit in einer Blase der Selbstgefälligkeit befinden, die neue Diagonale hat mit ihrer Programmierung ihres getan um dem Publikum zu zeigen, dass es eigentlich auch anders geht.

More from Chris Dohr
2016 in Musikvideos – Ein Jahresrückblick
Das Jahr 2016 ist natürlich auch an der Musikbranche und deren beliebter...
Read More
Leave a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert