Aufgewacht, verloren und auferstanden im Heleus-Cluster … ein Tagebuch!
Früher war alles besser. In Amerika saß kein Irrer am Thron, die Regierungsform der Türkei war noch nicht Absolutismus und es gab Wochen, in denen ich acht, neun Mal im Kino war. Einer der letzten sicheren Häfen vor all den dunklen Schatten dieser Welt sind unsere geliebten Videospiele. Weil ich irgendwie zu Geld kommen muss, was zu 33 bis 52 Arbeitsstunden pro Woche führt, habe ich aber kaum mehr und wenn äußerst unregelmäßig Zeit für dieses prächtige Medium. Im Folgenden möchte ich über Spiele aus der Perspektive eines Menschen schreiben, der kaum mehr Zeit zum Spielen hat. Dies ist kein Review, sondern eher ein emotionaler Erlebnisbericht, der den Fokus auf die subjektive Spielerfahrung richtet und keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit hat. Ich spiele so lang, wie es mich freut und wenn ich keine Lust mehr habe, bleibt es liegen.
Mass Effect: Andromeda kam, um das Erbe eines typischen Bioware-Spiels anzutreten. Es musste sich seinen – nachträglich – in den Himmel gehypten Vorgängern stellen und es wurde vorab schon heftig kritisiert. Die Animationen wären kacke, die Dialoge teilweise auch und die Charaktere weniger sympathisch als jene, mit denen wir durch die alte Trilogie geflogen sind. Weil ich trotzdem gerade unglaublich Lust auf das Mass Effect-Feeling hatte, hab ich alle Tests ignoriert und zugegriffen.
Aller Anfang ist schwer
Mass Effect: Andromeda beginnt mit einer Katastrophe. Wir sind 600 Jahre von den Geschehnissen der alten Trilogie entfernt mit einer Arche im Andromeda-Nebel gestrandet. Irgendwas ist schiefgegangen und wir wurden aus dem Cryo-Schlaf gerissen.
Irgendein mysteriöser Nebel hat unsere Arche aus dem Hyperraum geschleudert. Nun gilt es, in dieser neuen Galaxie Fuß zu fassen. Spätestens als sich kurz darauf Papa auf einem hübschen aber lebensfeindlichen Planeten voller schwebender Steine (… Alles wird besser mit schwebenden Felsen. Darüber wird nicht diskutiert, das ist Fakt und gilt für alle Fiktionen! Von Dragon Hunters bis Avatar.) für uns opfert und uns nebenbei seine Mission als Pathfinder überträgt, passiert genau das, weshalb ich die ME-Reihe liebe. Ich habe das Gefühl, eine schicksalsträchtige Rolle in dieser Galaxie zu übernehmen. Dass die meisten meiner NPC-Kameradinnen und Kameraden demgegenüber eher skeptisch auftreten, gehört zur typischen Bioware-Erzählstruktur.
Kurze Zeit später landen wir auf der Raumstation Nexus, die der Citadelle der Vorgänger erstaunlich ähnelt und offenbar den Archen vorausgesandt wurde. Auch dort ist alles im Argen. Die Führungsebene kann sich auf kaum auf etwas einigen, es gibt zu wenig Energie und alle bisherigen Besiedelungsversuche blieben erfolglos. Murrend überlässt man uns als erster und einziger aufgetauter Pathfinder das geilste Schiff des Universums, die Tempest. Sie ähnelt der Normandy, ist meines Erachtens aber übersichtlicher aufgebaut und das Spiel muss nicht ständig mit ewiglangen Liftfahrten die neuen Areale laden. Das macht das typische Abklappern und Plaudern mit der Crew deutlich komfortabler. Auch die Brücke kann sich sehen lassen. Ich stehe vor einem gigantischen Screen wie der Captain auf der Enterprise, sehe vor mir entweder die Galaxie-Karte oder das wunderschöne Sternenpanorama, während rechts von mir der salarianische Pilot Kallo sitzt, der sich peinlich berührt anhören muss, wie ich mit Suvi links von mir flirte. Suvi ist Science Officer und zudem stark religiös. Mit ihr unterhalte ich mich über das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Religion und wieso sich Glaube und Fakten nicht zwangsweise ausschließen. Achja und ich will mit ihr das Bett der Kapitänskajüte teilen.
Zu diesem Zweck greife ich übrigens zu Google und überprüfe, ob meine Romance-Absichten fruchten können. Romantik mit ungewissem Ausgang hatte ich in der Realität oft genug, dafür brauche ich keine Videospiele. Hello Suvi, ich glaube, das ist der Beginn einer wundervollen Freundschaft.
Neue Welten und typische Sidequests
An Board der Tempest landen wir schon bald auf einem sandigen und radioaktiv verseuchten Planeten, auf dem bisherige Siedlungsversuche gescheitert sind. Nach einigen belanglosen, rollenspieltypischen Nebenaufgaben können wir in eine massive unterirdische Bunkeranlage eindringen, die optisch durch ihre gigantische Weite und ihre fremdartige Architektur begeistert. Schnell kommt es zu Gefechten mit Wächter-Robotern und hier macht sich Ernüchterung breit. Das Kämpfen macht schlicht nicht sonderlich viel Spaß. Andererseits hat es mir das in den Vorgängern auch nicht gemacht und die neue Bewegungsfreiheit dank Jetpack fetzt schon. Ich persönlich habe Mass Effect immer schon wegen der spannenden Welt gespielt und nicht wegen den Kämpfen und eigentlich auch nicht wegen der Story. Für all diese Dinge gibt es und gab es deutlich bessere Spiele. Am Ende der Höhle gelingt es uns das Terraforming des Planeten zu aktivieren und wir müssen uns entscheiden, ob wir lieber Militär oder Forscher ansiedeln. Es sind solche Entscheidungen, die mir das Gefühl geben, bedeutend zur Erforschung dieser Galaxie beizutragen. Ich hoffe, meine Wahl wird sich im späteren Spielverlauf noch auf irgendetwas auswirken und ich hoffe, die Siedlung wird auch optisch wachsen und mir den Eindruck vermitteln, entscheidend zur Besiedelung des Planeten beizutragen.
Einige belanglose Rollenspiel-Side-Quests später landen wir auf einem großen Planeten, auf dem die katzenartigen Angaraa leben. Mit ihnen müssen wir Freundschaft schließen, wenn wir gegen die bösen Kett bestehen wollen. Von dort aus geht die Reise weiter, auf einen frostigen Eisplaneten, den wir auf Grund der niedrigen Temperaturen hauptsächlich im Buggy befahren. Auch dort warten jede Menge Nebenmissionen und drei Vaults, die möglicherweise zum Terraforming führen könnten. Für die Angaraa stehen außerdem schon weitere Missionen auf anderen Planeten an. Mass Effect beginnt mich zu erdrücken. Ich habe zu wenig Zeit zum Zocken und zu viel zu erforschen.
Ein Fazit nach etwa einem Monat
Nach einem guten Monat und relativ wenig Zeit in dieser Galaxie ziehe ich das Fazit, dass Mass Effect: Andromeda ziemlich genau das ist, was ich erwartet habe. Es ist ein großes und spannendes Universum, ich bin ein Pionier mit einem tollen Raumschiff und einer tollkühnen Crew und ich muss die Ankunft der Milchstraßenbewohnerinnen und Bewohner dirigieren.
Dabei entdecke ich spannende und fremdanmutende Orte, die mich einerseits aus den Socken hauen und die andererseits trotzdem wieder nur aus dem Bioware typischen Fertigteilkatalog stammen. Die Gesichtsanimationen in den Zwischensequenzen erinnern mit ihrer übertriebenen Mimik teils fast an Die Sims, die Charaktere sind trotzdem nach meinem Ersteindruck liebenswert und interessant und in meine Sara Ryder bin ich sowieso ein bisschen verschossen. Die Crew zankt und widerspricht sich und es fehlt mir als Pathfinder noch der nötige Respekt und das entscheidende Durchgreifen. Trotzdem erahne ich, dass mich meine Reise noch zu spannenden Orten und aufregenden Entdeckungen führen wird, wenn ich zwischen Kallo und Suvi auf der Brücke stehe und auf das Sternenmeer blicke.
Noch fesselt mich Mass Effect Andromeda nicht. Dieses Gefühl eine völlig fremde Welt als Forscher und Pionier zu erkunden, war der Grund, wieso ich es mir gekauft habe und das hat mir Mass Effect: Andromeda bisher aber ausreichend geboten. Ich werde diese Galaxie auch noch weiterhin erkunden.
Eine spielzeitlose Arbeitswoche später habe ich die Lust an Mass Effect Andromeda beinahe verloren. Da draußen warten andere Welten und ich hatte meinen Spaß im Andromeda-Nebel. Es hat mich nicht umgehaut, aber ich konnte eine neue Galaxie entdecken und das war schon ganz cool. Irgendwas lässt mich das Spiel trotzdem nochmal starten und ich verbringe einen ganzen Sonntag nur auf einem einzigen Planeten. Ich erledige eine Nebenaufgabe nach der anderen, ich terraforme die Welt, dass selbst Moses neidisch wäre und bekämpfe die Kett. Ich begegne auf einer Nebenmission einem Endgegner, der mich in all seiner Zachheit an Bloodborne erinnert und verschiebe ihn schließlich entnervt auf später.
Und plötzlich fängt es mich doch noch!
Ich will schon aufhören, als ich mich noch einer Hauptmission zuwende und da geschieht es: Plötzlich packt mich Mass Effect: Andromeda. Die Story wird interessant und ich möchte wissen, wie es weitergeht. Was hat es nur mit diesen Kett auf sich? Alle Entscheidungen fühlen sich deutlich schwerer an, als in den bisherigen Mass Effect-Teilen. Die Konsequenzen scheinen schwerer abzusehen. Bisher habe ich leider den Eindruck, dass die Konsequenzen aber im Endeffekt kaum Auswirkungen auf das Geschehen haben. Ich speichere und bin überrascht: Ich habe das Gefühl, in dieser Galaxie erst die ersten vorsichtigen Schritte gegangen zu sein und habe bereits eine Spielzeit von 17 Stunden.
Ich glaube, Persona 5 und Horizon Zero Dawn müssen warten, denn der Andromeda-Nebel wird mich noch länger gefangen halten. Die Reise geht weiter. Es warten noch viele Planeten auf ihre Besiedelung.
Mass Effect Andromeda
Entwickler: Bioware
Publisher: EA
Plattform: Playstation 4, Xbox One, PC
bereits erschienen