Lampenfieber

Ich habe eigentlich keine Probleme vor Publikum zu stehen und Dinge zu tun. Doch egal ob Gamescom oder AMAZE: Es macht mich nervös, vor anderen Menschen zu spielen. Ganz besonders, wenn ein Entwickler des Spiels anwesend ist. Es folgt eine Auswahl meiner peinlichsten Erlebnisse.

Lampenfieber

Ich habe eigentlich keine Probleme vor Publikum zu stehen und Dinge zu tun. Doch egal ob Gamescom oder AMAZE: Es macht mich nervös, vor anderen Menschen zu spielen. Ganz besonders, wenn ein Entwickler des Spiels anwesend ist. Es folgt eine Auswahl meiner peinlichsten Erlebnisse.

Gamescom 2012

Ich komme auf dem Messegelände an und kenne nur ein Ziel: Hotline Miami! Es ist das neue Werk von Jonatan „Cactus“ Söderström, diesem genialen Enfantes Terrible der Indie-Szene. Es hat diese, für Cactus typische, verstörende Surrealität, es badet in der Ästhetik der 80er-Jahre und zu diesem Zeitpunkt kennt es so gut wie keiner. Hotline Miami selber wird nach dem Release ein riesiger Erfolg werden und dem sich bislang an der Grenze zur Armut befindenden Söderström finanzielle Sicherheit geben. Doch, wie gesagt, an diesen Tag kennt es noch kaum jemand.

Hotline Miami befindet sich, zusammen mit anderen Indie-Spielen, auf dem Stand der populären Download-Plattform Steam. Dieser ist so unscheinbar, dass ich zunächst daran vorbeilaufe und an der Info-Theke fragen muss, ob ich überhaupt in der richtigen Halle war. Keine leuchtenden Logos, keine blinkenden Scheinwerfer, nur eine etwas größere, offene Fläche an deren drei Wänden sich Tische mit Laptops und Computern schmiegen. An der offenen Seite befindet sich eine Theke, an der Hostessen den drängelnden Gamern Karten mit Steam-Keys in die schwitzigen Hände drücken. Jeder Platz ist mal mehr, mal weniger dekoriert mit Bannern und anderen Werbekram der jeweiligen Projekte. Bei Hotline Miami hängt nur ein weißes T-Shirt mit dem Logo des Spiels.

Ein Mann mit langen, blond gefärbten Haaren sitzt unter dem T-Shirt. Ich blicke über seine Schulter auf den Monitor: Hotline Miami! Es ist wirklich hier! Er dreht sich um. „Do you want to play?“, tönt es mit schwedischen Akzent aus seinem Mund. „Yeah! Of course!“, entgegne ich. Während ich mich hinsetze, frage ich sicherheitshalber ob er Cactus sei. Der blonde Mann lacht. „No, no, I’m Dennis.“

Er erklärt mir schnell das Spiel und dessen Steuerung. Ich setze die Kopfhörer auf und bin sobald im fiebrigen Pixel-Miami. Das Tutorial überstehe ich ohne Probleme. Dann folgt der erste Level. Und ich sterbe. Und sterbe. Und sterbe. Viel zu oft. Abgeschirmt durch die Kopfhörer und konzentriert auf das Spiel nehme ich nicht mehr wahr, ob mich Dennis beobachtet oder nicht. Aus Nervosität fange ich an Dinge zu labern wie „Oh, wow, I totally suck“ und „Jeez, dead again“. Dann vernehme ich durch die pumpenden Bässe des Soundtracks wie wohl eine Gruppe von jungen Männern sich hinter mir platziert hat und mit Dennis redet. Oh Gott, ich habe vor Fremden mit mir selbst geredet! Und sie beobachten mich auch noch dabei wie ich unzählige Male draufgehe! Aaaaah!

Schließlich schaffe ich es unter diesen erschwerten Bedingungen den Level abzuschließen. Beeindruckt nehme ich die Kopfhörer wieder ab. Meine Beobachter sind mittlerweile weitergegangen. „And? Did you liked it?“, fragt mich Dennis erwartungsvoll. Ich hole kurz Luft: „That was… AWESOME!“. Der Hotline-Miami-Mensch strahlt. Und dann quassele ich ihn voll, dass ich extra nach diesem Spiel hier auf der Messe gesucht habe, wie sehr ich mich darauf freue und es garantiert vorbestellen werde. Dennis scheint mein begeistertes Fanboy-Verhalten nicht zu stören. Als ich jedoch aufstehen will, reisse ich fast die Maus zu Boden. Ich entschuldige mich hastig und verschwinde mit hochroten Kopf wieder in der Menge.

Gamescom 2014 Indie Mega Booth

Gamescom 2014

Die Indie Mega Booth ist endlich nach Köln gekommen, nachdem sie vorher nur auf amerikanischen Messen wie der PAX stattgefunden hat. Es ist mit seiner Vielzahl an Indie-Entwicklern und seinem DIY-Charme dem Steam-Stand von 2012 sehr ähnlich, aber die Anzahl der vorgestellten Spiele ist um einiges höher. Das heißt auch, dass die Chancen vor Zuschauern und Entwicklern mich zum Affen zu machen erheblich gestiegen sind.

Trotz der vielen Titel werde ich nur einige wenige davon spielen. Nur selten ist ein Platz frei und an diesen zwei Tagen Aufenthalt treibt es mich zudem abseits der Indie-Spiele über die Messe.

Bei Tri quatsche ich begeistert die beiden Menschen hinter Ratking Entertainment an. „Also ich weiß, dass du Jana Reinhardt bist und du…“, und zeige dabei auf Friedrich Hanisch, „…äh, deinen Namen habe ich wieder vergessen“. Nach einen kurzen Austausch von Nichtigkeiten wird ein Platz an einen der beiden PCs frei. Ich setze mich und habe für die nächste Zeit unglaublich viel Spaß in dem Spiel Dreiecke zu zeichnen und mich Portal‚esk durch die Level zu rätseln. Schließlich habe ich soweit im ersten größeren Level alle Fuchsstatuen gefunden, doch dann habe ich keine Ahnung wie ich nun weiterkomme. Hatte ich eine Statue übersehen? Muss ich irgendwo nochmal hin? Ich renne im Außenareal die Treppen hoch und runter und zeichne überall Dreiecke hin wo ich es noch nicht getan habe. Wieder bricht der Angstschweiß aus. Ich bin mir ganz, ganz sicher, dass in diesem Augenblick mir jemand beim Spielen zusieht. Bestimmt sind Jana und Friedrich hinter mir hart am Facepalmen, weil ich zu doof bin, den Ausgang zu finden. Oder ein interessierter Gamescom-Besucher wird sich wegen meiner spielerischen Unfähigkeit dieses Spiel nicht kaufen.

Dann schaffe ich es doch noch den Level zu beenden. Ich blicke vorsichtig hinter mich und… da ist niemand. Jana unterhält sich gerade mit jemand anderen, Friedrich ist weg und es wird noch nicht mal annähernd in meine Richtung geschaut. Mir hat niemand zugesehen. Es war reine Paranoia.

Amaze 2015 The Kevin Patterson Experience (Hinten)

AMAZE 2015

Mein erstes Mal in Berlin und mein erstes Mal auf diesem Festival. Man kann hier keinen Stein werfen ohne dabei mindestens fünf Indie-Entwickler zu treffen (wobei einer von denen bestimmt danach ein Twine-Spiel darüber machen würde). Es gibt zahlreiche kleine Titel zu spielen, wobei so gut wie immer einer der Macher nicht unweit verweilt oder dank der immer gut gefüllten Location sonst jemand dir beim Spielen zusieht. Sich hier zum Affen machen ist aber gottseidank bei manchen Spiel vorgesehen:

  • Das Spielfeld des preisgekrönten Publikumsliebling Line Wobbler findet auf einen LED-Streifen statt, der sich sogar an der Decke weiterschlängelte. Das ist für einen selber geil, wenn man seinen Kopf plötzlich verrenken muss, um das Ende des Levels zu erblicken und das ist auch für die Zusehenden geil, weil das Spiel durch seine grafische Minimalität einfach nur, äh, geil aussieht.
  • In Cunt Touch This muss man Vaginas anmalen. ’nuff said. Hochrote Köpfe und Kichern inklusive. Wir sind alle zwölf Jahre alt.
  • Ich habe Spiele beobachtet bei denen Menschen sich wild vor Barcode-Scannern, mit Oculus-Rift-Brillen und/oder PlayStation-Move-Controllern verrenken, bewegen und dabei immer doof aussehen. Es ist großartig.

Und doch brach bei zwei Spielen bei mir wieder der bekannte Angstschweiß aus.

Kentucky Route Zero war ausgestellt. Dieses wunderbar surreale Adventure von Cardboard Computer, dessen Teile ich alle mit Begeisterung gespielt habe. Und doch sah ich auf seiner Station eine Szene, die ich nicht kannte. Der bekannte Laster der Hauptfiguren war in einem Kino abgestellt. War das vielleicht eine Demo, die extra für die Amaze gemacht wurde? Gar eine Vorschau auf den kommenden Teil? Ich spielte, ich las, ich verzweifelte daran, dass das Kabel des Kopfhörers viel zu kurz war und die Amaze zu laut für so ein ruhiges Spiel. Und stellte fest: Das ist der von mir schon gespielte Act III. Es war nur eine Szene, die ich damals wohl übersehen hatte. Aber ich spielte dennoch weiter. Und kam nicht weiter. Ich schickte in meiner Verwirrung den Laster auf der Karte von einer Ecke zur anderen, ohne eine Ahnung mehr zu haben was man an dieser Stelle eigentlich machen muss.

Ausgerechnet dann stellte sich jemand neben mich, schaute mir zu und fragte mich auf Englisch was das für ein Spiel sei. Ich liebe Kentucky Route Zero und versuchte nun als begeisterter Fan ihm das Spiel schmackhaft zu machen, während ich mich immer noch auf der unspektakulären Karte herumklickte. „It’s just a wonderful game, believe me.“, schließe ich mein in eher schlechtem Englisch gehaltenes Gestammel ab. Er bedankte sich und verschwand wieder. Ach, verdammich.

Im Keller der Urban Spree wurden  die besonders freakigen weitere Spiele ausgestellt. Es gab ein Oculus-Rift-Spiel, in dem man sich in einen real vorhandenen(!) Sarg legen musste, um sich wiederum aus einen virtuellen Sarg befreien zu müssen. Habe ich selber nicht gespielt, sah aber besonders irre aus. Und der anwesende Kerzenleuchter hat das ganze noch umso umheimlicher gemacht.

Was bei mir aber wieder Panik ausgelöst hat, war das im Vergleich eher harmlose The Kevin Patterson Experience, welches ebenso im muffigen Untergeschoss ausgestellt wurde. Eine Art selbstironische Kunstausstellung in Form eines Videospiels, die sehr an The Stanley Parable erinnert. Kein Wunder, schließlich ist einer der Entwickler William Pugh, der als Level-Designer an Stanley arbeitete.

Ich sitze also im Sofa, navigiere mich mit dem PS4-Controller durch die virtuelle Galerie und höre diesem einen Schauspieler aus der UK-Serie Spaced zu, wie er sein Werk in der Rolle des Kevin Patterson anpreist. Und dann kommt der real existierende Kevin Patterson herein, schnappt sich eines der an der Wand hängenden Kunstwerke, die auch im Spiel zu finden sind, und verschwindet wieder mit einem augenzwinkernden „Are you having fun?“. Etwas später erscheint Dominik Johann, einer der anderen Macher der Kevin Patterson Experience. Er hat ein paar weitere Herren dabei. Dank den Kopfhörer habe ich keine Ahnung was gesagt wird, aber ich vermute sehr stark, dass er ihnen das Spiel erklärt. Und die Herrschaften blicken die ganze Zeit auf meinen Monitor – ausgerechnet auf meinen Monitor! Aaaargh! Da ist also wieder ein Spieleschaffender, der mir beim Konsumieren seines Werks zuschaut und obendrein agiere ich abermals als menschlicher Attract Mode. Diesmal ist es keine Paranoia, da sind wirklich Menschen, die sich durch mich einen ersten Eindruck bilden werden. Ohgottohgottohgottohneinohneinohnein!

Sonderlich spannend ist The Kevin Patterson übrigens nicht, wenn man nur zuschaut und obendrein nichts vom Spiel hört. Genauso wie bei der Stanley Parable findet das Geschehen hauptsächlich durch den Erzähler statt. Dann läuft der Abspann. Ich habe das kleine Spiel durch. Der Druck fällt von mir. Dominik fragt mich, ob ich den Controller weitergeben könnte, schließlich „wollen die Herren der Presse auch spielen“. OHMEINGOTT, DAS IST JA NOCH SCHLIMMER! Ich habe vor Presse gespielt! Keine Ahnung was für Presse, aber vielleicht welche, die dieses Spiel womöglich einer größeren Öffentlichkeit schildern wird!

Also falls ihr irgendwo vernichtende Kritiken zu The Kevin Patterson Experience gelesen habt: Ich habe mein Bestes gegeben! Ich schwörs!

 

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