Helge Schneider schreibt und hat geschrieben – die Wiederentdeckung von „Die Memoiren des Rodriguez Faszanatas“

Helge Schneider (Satan Loco)
Helge Schneider (Satan Loco)

Ja, Helge Schneider schreibt auch und zwar über einen Heiratsschwindler mexikanischer Abstammung im Frankistischen Barcelona der 70er Jahre, der aber ganz offensichtlich seine Lebensgewohnheiten und Alltagsbilder aus dem Ruhrpott in Norddeutschland bezieht. Das Buch ist bereits 2006 erschienen, aber ich meine, dass es sich immer noch aus vielen Gründen zu lesen lohnt. (Das also gleich vorab!)

Kann man Helges Quatsch auch in ein Buch packen?

Helge Schneider ist ein Unikum. Manche verehren, manche verabscheuen ihn. Manche halten sich den Bauch vor Lachen bei seinen Bühnenshows. Und andere würden nicht einmal für Geld in seine Kinofilme gehen. Helge ist widerborstig, grob, absurd, wahnwitzig, schief, daneben und grotesk. Beständig unterbricht und erschwert er seine Shows dadurch, dass er scheinbar die Professionalität missen lässt, oder beständig die Illusion untergräbt, sein Tun wäre mehr als ein Affenzirkus.

Oft lobt man ihn für seine Musikalität und seine musikalischen Events. Aber auch da, wo er beispielsweise ein Saxophon spielt, wenn die ganze Band grooved und der Beat Freude und Harmonie in den Zuhörern erzeugt, schafft es Helge Schneider nicht aus seiner Haut und wird über kurz oder lang irgendetwas Dissonantes, irgendetwas Kakophonisches fabrizieren. Es ist gerade Helges Alleinstellungsmerkmal, dass er die Show zerstört, die Illusion nicht zulässt (in seinem Film Texas einfach deutsche Ortsschilder abfilmt, nicht nur das, sondern sogar die Aufmerksamkeit der Zuschauer_innen bewusst auf die Ortsschilder lenkt, indem er sie vergeblich zu verdecken versucht). Es ist gerade das komplette Zerstören jedweder in sich gerundeten Form, die er anstrebt, und so nimmt es nicht wunder, dass er dieses Ziel auch in der Literatur verfolgt.

Literatur?! Warum nicht. In seinem Buch über den Heiratsschwindler nimmt Helge Schneider deutlichen Bezug zum „Decamerone“ von Giovanni Boccaccio. Er spielt mit den Motiven eines Don Juan oder Casanovas, jedoch mit solchen Exemplaren, die Tränensäcke besitzen und Schmutz unter den Fingernägeln haben. Das kann nicht überzeugen und überzeugt auch nicht, genausowenig wie die Lebensgeschichte seines Vaters, die er wie folgt zusammenfasst: „Mein Vater stammt aus Mexiko, Kakteengroßhandel.“ Es soll aber auch nicht überzeugen! Darin liegt das groteske, verstörende, aber auch interessante Moment im Schreiben von Helge Schneider, nämlich in einem surrealistischen Versuch durch die Show die Show zu zerstören, oder, fürs Schreiben gemünzt, durch das Lügen das Lügen zu überwinden. „Da manche Dinge, die hier in der Erzählung vorkommen, etwas geschönt sind, gewissermaßen auch erdacht, möchte ich jetzt gerade diese Episode in dem Gitarrenladen einmal kurz erklären: Sie ist erfunden.“

Zwischen sinnlosen Lügen und gespenstischer Wahrheit

Nun. Wir wissen, dass die Autoren Dinge erfinden, aber wir wollen sie ja glauben, wir wollen sie normalerweise für real halten und uns mitreißen lassen. Was wir nicht wollen, ist, dass uns etwas „Erfundenes“ als „erfunden“ dargeboten wird. Helges Ansatz erscheint also widersinnig, und er ist es auch, wortwörtlich. Der Text über den Heiratsschwindler macht keinen Sinn. „Der Bullterrier stank aus dem Maul, weil er nur Dosenfutter bekam. Sein Herrchen trug eine Leggins und darüber ein Hemd mit buntem, aber jetzt verwaschenenem Aufdruck. Seine Haare waren frisch vom Friseur, es war morgens um fünf, und er rauchte stark. >>Ich sagte doch, der Hund beißt! Da müssen Sie erst warten, bis ich den Weg freigebe!<<„

Helge Schneider legt einfach den Finger in die Wunde des potentiell tristen Lebens, das sich die Menschen manchmal gegenseitig schönzureden versuchen. Wer jedoch die Tortur durchhält und die 130 Seiten liest, den ereilt irgendwann ein gespenstisches Gefühl von Realität, weil vieles, fast alles, wovon Helge berichtet, uns nah aus dem Alltag vertraut ist: „In der Nähe war ein kleiner Park, mehr oder weniger auch ein Kinderspielplatz. Nur dass seit Jahren keine Kinder hier mehr spielen konnten, weil der ganze Platz zugeschissen war, nicht nur von Hunden, sondern auch von ein paar Rauschgiftsüchtigen, die außerdem noch ihre Spritzen einfach in der Gegend herumwarfen.“ All dies ist nicht besonders gut erzählt, noch sprachlich gewandt ausgedrückt, der Sinn, das Bild, es geht immer verloren und löst sich auf, verschwindet gleichsam unter der Hand und kann nicht wiederkommen. Aber was bleibt, ist diese seltsame Lücke, die Andre Breton, Marcel Duchamps, die George Bataille stets aufreißen wollten, um neue Perspektiven und Lebensarten zu ermöglichen, um so wenig wie möglich auszuschließen.

Helge Schneider gelingt mit seinem Buch eine durchaus interessante Dekonstruktion des biographischen Lügens im Alltag wie in der Weltliteratur (Dichtung als Wahrheit). Seine Aufgabe ist das humorvolle, unmoralische Spaßverderben, ohne dabei ein anderes Ziel zu verfolgen, als Platz für „etwas anderes“ schaffen zu wollen. Der Heiratsschwindler ist uns leider auf Schritt und Tritt zu nah, eben das von Walter Benjamin herbeizitierte Bucklig Männlein: „Liebes Kindlein, ach, ich bitt‘, Bet‘ für’s bucklig Männlein mit“.

Helge Schneiders alter Ego ist ein solches Männlein. Es ist gruselig, unheimlich und stets zu nah. „Entschuldigung, haben wir uns nicht irgendwo schon mal gesehen?“, fragt es den Leser. Ja, sehr oft, unfreiwillig oft, aber Helge beweist, Lachen hilft und die Vorstellung, dass es im gelben Netzhemd barfuss eine Dose Bratheringe isst und „Cuba libre“ bestellt, denn „in der Mittagshitze knallt das so schön.“

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Die Memoiren des Rodriguez Faszanatas
Helge Schneider
Köln: Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
erschienen am 13.11.2006
Die Memoiren des Rodriguez Faszanatas beim Kiwi Verlag

 

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