Es gibt eine neue Alice-Verfilmung, mit der James Bobin an den ersten Teil von Tim Burton anschließt. Weil die erste allen gefallen hat und Unmengen von Geld in die Kassen gespült hat (haha. not). Die Erwartungen sind also denkbar niedrig und überraschenderweise damit übertroffen worden. Gratulation!
Wenn man einen Film Alice in Wonderland nennt und ihn dann zu einem krüppeligen Hybrid aus den beiden Alice Romanen Carrolls macht, dann ist eigentlich auch schon alles Pulver verschossen. Der zweite Teil, Through the Looking Glass, hat in etwa so viel mit der Romanvorlage zu tun, wie Johnny Depp inzwischen mit Schauspielerei: Ansätze sind vorhanden. Außer der Tatsache, dass Alice nach einem actionreichen Auftakt durch einen Spiegel geht und dahinter das Wonderland findet, hat man eine völlig neue Story erfunden. Die ist jedoch gar nicht so schlecht geschrieben.
Alice (Mia Wasikowska) trifft erneut auf die üblichen Verdächtigen, unter anderem ihren Freund Mad Hatter (Johnny Depp), der jedoch darunter leidet, dass er seine Familie verloren hat und nicht wiederfindet. Alice verspricht ihm zu helfen und reist dabei durch die Zeit, indem sie „Time“ (Sacha Baron Cohen) eine Zeitmaschine klaut. Dabei beachtet sie jedoch nicht, dass die große Uhr, die die universelle Zeit am Laufen hält, ihre Energie aus dieser Maschine zieht und nur für kurze Zeit noch aktiv bleiben kann, bevor alles für immer stillsteht. Daraus entsteht eine schöne Mischung aus Zeitreise- und Detektivstory, bei der man schlussendlich irgendwie mitgerissen wird, obwohl es kitschiger nicht sein könnte.
Stärker noch als beim ersten Teil fällt das einfallsreiche und opulente Design auf. Der stimmige (und ein bisschen an Bismarck erinnernde) Steampunk-Look von Times Welt, und die detailreichen, farbenprächtigen Kostüme, fühlen sich an wie ein LSD-Trip aus der Feder von John Lennon. Also irgendwie weird, aber eh gut.
Loben wir weiter
Wenn auch mit dem Holzhammer und nicht sehr reflektiert freue ich mich über die Art und Weise, wie eine starke weibliche Hauptfigur präsentiert wird, die sich weder Konventionen, noch Regeln, noch Erwartungen beugt und die sich in einer von Männern dominierten Welt nicht zu Schade ist, ihr Klappe aufzureißen und verbal auszuteilen. Damit kann ich mich identifizieren, das gefällt mir gut.
Reicht auch schon mit dem Lob
Die schauspielerische Leistung von Johnny Depp ist erschreckend. Ich bin mir sicher, dass ich mehrfach aus seinen toten, leeren Augen eine Mischung aus einem Hilferuf und der Frage: „Warum?“ lesen konnte. Seine Figur war tatsächlich gut geschrieben, der Hutmacher kämpft mit Depressionen und verliert den Willen zu leben. Seine Performance wirkt allerdings so, als würde er eigentlich gerade einen Animationsfilm synchronisieren. Seine Stimme ist dabei, freundlich gesagt, irritierend, Emotionen sind nicht vorhanden, ebenso bei Mia Wasikowska, weswegen es wirklich schwer fällt zu verstehen, warum sie die Welt und damit jedes einzelne Leben, inklusive des eigenen, bei ihrer Mission aufs Spiel setzt. Ein Lichtblick ist Sacha Baron Cohen, der meistens eine sichere Nummer für solides Acting ist und hier mit einer okayen Performance extrem heraussticht. Das nenne ich Effizienz.
Unterm Strich ist Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln kein Totalausfall. Das 3D ist angenehm, Produktionsdesign ist wirklich bemerkenswert und die Zeitreise-Story ist zumindest zum Ende hin spannend und unterhaltsam geschrieben. Das kann man sich schon mal anschauen, auch wenn viele Stellen konsequenter hätten geschrieben werden können und sich die SchauspielerInnen ein bisschen mehr Mühe hätten geben können. Ich werde nicht so weit gehen und eine uneingeschränkte Empfehlung abgeben, aber… man kann sich das schon im Kino anschauen, ohne Augenkrebs und Wutanfälle.
Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln / Alice Through the Looking Glass
Regie: James Bobin
Drehbuch: Linda Woolverton (nach Lewis Carolls Romanvorlage)
Cast: Mia Wasikowska, Johnny Depp, Sacha Baron Cohen, Helena Bonham Carter, Anne Hathaway, Matt Lucas
Start: 26. Mai 2016, FSK: 6, 113 Min.