Nicolas Winding Refn: „Du musst Gewalt sexualisieren“

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Nicolas Winding Refn spaltet ein weiteres Mal die Meinungen mit seinem neuesten Werk, The Neon Demon. Anlässlich der Österreich-Premiere ließ sich der Däne in Wien blicken und traf sich mit Elektro Uschi zu einem kleinen Plausch.

Als Refn gegen 0.30 Uhr in der Hotelbar am Roundtable Platz nimmt, sieht der 45-Jährige schon ziemlich müde aus. Kein Wunder, kam er doch viel zu spät in Wien an und musste vor und nach der Premiere von The Neon Demon auf der Bühne des Gartenbaukinos präsent sein. Da hätte ich auch wenig Lust, mitten in der Nacht noch einen Haufen Journalisten zu treffen. Aber das gehört nun mal zum Beruf des Filmemachers.

Unter den Journalisten befand sich auch ein Student der Filmakademie. Wie Refn denn mit seinen Co-Autoren am Drehbuch arbeite, fragte sich dieser, denn der Film habe ja wenig Plot. Stirnrunzeln beim Autor und Regisseur: „Ich arbeite gar nicht mit ihnen, sie zeigen mir, was ich nicht will. Aber was meinst du mit einem guten Plot? Fernsehen?“ „Nein, vielleicht Haneke, oder Nader & Simin?“ „Ich glaube, es gibt sehr definierte Vorstellungen davon, wie ein Film und eine Geschichte sein müssen. Das Kino steckt in mathematischen Formeln fest und wenn du davon abweichst, dann muss etwas fehlen. Der Unterschied zwischen uns beiden ist, dass du dich auf Klassiker verlässt und ich modern bin. Die Zukunft des Kinos hat keine Definition und unterliegt keiner Kontrolle, sie ist ein Meer aus digitalen Neuerungen und das ist sehr spannend.“

Gerne sagt Refn über seine Arbeiten, es seien keine Filme, sondern Erlebnisse. Tatsächlich ist es schwer, The Neon Demon inhaltlich zu bewerten, denn das Hauptaugenmerk liegt auf audiovisueller Ebene. Immer an Bord bei seinen Filmen: Cliff Martinez, der auch hier wieder den Soundtrack lieferte. „Ich höre viel Georgio Moroder, vor allem die elektronischen Beats aus den 70ern und 80ern und das war wohl einer der größten Einflüsse. Ich habe mit Cliff darüber gesprochen, aber ich habe ihm auch gesagt, er soll sein eigenes Ding machen. Er war von Anfang an involviert und bringt zum Schluss alles elegante zusammen. Er hat immer die besten Lösungen. Unsere Zusammenarbeit fällt sehr leicht und ist sehr eng. Seine Musik trägt so viel zur Qualität des Filmes bei, dass ich mich immer darauf freue, was er komponiert.“ Neben Martinez ist auch Cutter Matthew Newman ein stetiges „Band-Mitglied“ in Refns Filmcrew. Während er die beiden immer wieder ins Boot holt, tausche er andere Jobs gerne aus um frischen Wind in die Projekte zu bringen. So arbeitete er mit Natasha Braier, nicht nur weil sie wohl auf übermäßige Bezahlung verzichtete, sondern auch aufgrund ihrer Qualitäten als Kamerafrau, die maßgeblich für den Look des Filmes waren.

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Ich fragte mich, ob es wohl Einflüsse auf Refns Filme gab, denn irgendwie musste ich an Dario Argentos frühe Arbeiten denken – der Regisseur gab sich weniger spezifisch: „Ich meine, ich mag Argento, aber ich mag jeden und alle Filme. Ich habe seine Filme in meiner Jugend gesehen und vergangene Woche hab ich ihn in Mailand getroffen… er hat The Neon Demon gesehen und gemeint, es stecke viel von ihm darin – aber das liegt wohl an seinem Ego.“ Apropos Ego – davon hat Nicolas Winding Refn ebenso mehr als genug. Vorbilder? Pustekuchen. „Es ist ganz normal, dass man anfängt Filme zu machen, wie andere es vorgemacht haben. Aber um einzigartig zu sein muss man alles ausprobieren, was schief gehen kann. Nur so versteht man, wie Kreativität funktioniert. Es zielt alles nur auf eines ab: Mache Filme, die du selbst gerne sehen würdest, denn das ist das einzige, das man dir nicht nehmen kann.“ „Aber wenn man auf die Oscars schaut… Es wird eben viel Druck aufgebaut.“ „What the fuck does that mean?“ Mit Preisen kann der Däne wenig anfangen, was er immer wieder betont. „Woher soll der Druck kommen? Wegen Awards? Ich gebe dir diese Wasserflasche, nenne es den Nic Refn Award. Ich gebe es Menschen, die für die Zukunft stehen. Lass dich niemals von Autorität einschüchtern, denn die hält sich immer an das, was sie kennt. Was man tun sollte, ist das alles niederzureißen und zu sagen: Es ist das 21. Jahrhundert – was immer ihr sagt, ist bedeutungslos.“

Er will sich weder in Schubladen stecken lassen, noch Traditionen folgen. Arme verschränkt, Stirn in falten: Nicolas Winding Refn ist rebellisch, wenn er so etwas hört. Und das soll nicht seine letzte Lektion des Abends bleiben. „Du solltest die Filmschule verlassen, oder du gehst daran zu Grunde.“, antwortet er auf die Frage, warum er für seinen hyperrealistischen Film so realistische Themen wählt. „Weil es viel unterschwelliger und damit interessanter wird. Es spricht die Zuschauer unterbewusst an, denn es gibt vielschichtigere Interpretationen. Die Realität ist da draußen, ich weiß nicht, ob man das unbedingt noch einmal abbilden muss.“

That’s a lesson learned. Aber nun zurück zu The Neon Demon, denn da gibt es einiges zu besprechen. Neben Look und Musik ist der Film gewohnt symbolträchtig. Auf Plakat, Promobildern und natürlich im Film selbst findet sich immer wieder das Dreieck. „Das hat etwas sehr esoterisches an sich. [Alejandro] Jodorowsky hat mir jedes Wochenende Tarot gelegt, während ich den Film gedreht habe. Davon spiegelt sich ziemlich viel wieder. Das Dreieck ist wunderschön und hat gleichzeitig etwas satanisches an sich. Es wurde zum Zeichen des Neon Demon.“ Augen, Dreiecke – ein Schelm, der da Böses denkt. „In Mailand hat tatsächlich jemand gefragt, ob ich zu einer Geheimorganisation gehöre und etwas projizieren wollte. Aber ich mag einfach wie ein Auge gegessen wird.“

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Refn hat das erste Mal mit einem weiblichen Cast gearbeitet. Auf die Frage, ob der Film auch mit Männern funktioniert hätte, sagt der Regisseur: „Ich finde Männer sind einfach nicht so interessant für die Kamera. Ich weiß nicht, wie der Film dann sein würde, wahrscheinlich sehr langweilig. Aber das Thema Schönheit passt einfach besser zu Frauen. Die komplette Industrie ist auf sie ausgelegt. Aber vermutlich sollte eine Frau diese Frage beantworten.“ Ich bin eine Frau, also starrt er mich an. Das heißt vermutlich, ich soll etwas sagen. Ich sage, es funktioniert besser mit Frauen, weil die Identifikation vermutlich größer ist. Er fragt mich, ob ich mir vorstellen könnte, dass manche den Film als frauenfeindlich einschätzen würden. Ich denke mir, dass ich diese Frage jetzt gar nicht beantworten will, aber ich glaube schon und ich glaube, es ist weil alle Frauen im Film irgendwo böse sind. Gleichzeitig wollte ich keine Fragen beantworten, sondern stellen, weil sonst werde ich nervös, brabble vor mich hin und hoffe, dass Teile von meinen Aussagen halbwegs schlau waren.

Schnell das Thema wechseln, nämlich zu Gewalt. Die ist wie gewohnt üppig vertreten, wenn auch nicht so explizit wie noch bei Only God forgives. „Desto mehr man Gewalt sexualisiert, desto furchteinflössender wird sie, denn man ist gleichzeitig erregt und abgestoßen. Wenn man Gewalt komödiantisch macht, ist sie nur für eine Weile amüsant, aber wenn man es wiederholt wird es sehr vorausschaubar. Wenn man es aber sexualisiert spricht es das Unterbewusstsein an.“ The Neon Demon hat nun viel Gewalt gegen Frauen – auch durch andere Frauen. „Das hat sich sehr stark durch Jenna Mallone entwickelt, die das in ihrer Figur (Ruby, AdR.) hervorgebracht hat. Das war aus einer männlichen Perspektive erst nicht so verständlich, denn weibliche Sexualität, in Bezug auf Gewalt, ist etwas sehr vertrauliches. Aber nachdem sie als Schauspielerin gezeigt hat, dass sie das in sich hervorbringen kann, habe ich sie zur Antagonistin gemacht. Danach musste ich alle Figuren – bis auf Jesse – ändern, denn es drehte sich nur noch um Jesse und Ruby.“

Da horchte ich auf – mir kam es nicht so vor, als sei Ruby wirklich die Gegenspielerin. „Ich denke, es ist so aufgebaut, aber in Wirklichkeit ist Jesse das Gift und alle anderen sind ihre Opfer. Sie füttert die Eifersucht der anderen. Ich denke nicht, dass Menschen eifersüchtig geboren werden, aber sie werden es, wenn sie etwas sehen und fühlen, dass sie begehren. Wenn dieses Begehren nicht da wäre, dann gäbe es keine Notwendigkeit für Eifersucht. Jesse repräsentiert dieses Eine, dass alle unbedingt wollen und das weiß sie. Sie taucht auf und alle reagieren auf ihre Anwesenheit.“

Nun. Ob man The Neon Demon gut findet oder nicht – es ist zumindest ein sonderbarer Film. Und Refn ein sympathischer, wenn auch sehr von sich überzeugter Filmemacher. Er scheint zu tun, was er will und wenn er das Geld braucht, auch mal was er muss. Als Gesprächspartner ist er in jedem Fall interessant.

Das Interview führte Franziska Bechtold für Elektro Uschi, zusammen mit weiteren österreichischen Journalisten (Gruß an unsere Freunde von enemy.at).

Nicolas Winding Refn und Franzi Bechtold: Beweisfoto!
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