Wenn man den durchschnittlichen Spieler fragt, wie Videospiele entstehen, wird er wohl mit glasigen Blick überfordert antworten: „Äh, die werden programmiert?“. Tatsächlich wäre ein besseres Verständnis über Spiele-Entwicklung für jeden von Vorteil, egal ob Kunde oder Entwickler.
Wo die kleinen Spiele herkommen
„Most gamers are morons when it comes to what goes into developing a game or the 6 months they don’t have a game in house while it’s being certified for console…Or that you can’t just add things after certification without going through that process all over again, or even that millions of copies of a game also take a huge amount of time to print package and ship…In their mind it was made the day before it came out….They seem to think that developers should just sit on their ass while all that’s happening instead of using that time to maybe make some content….So I’m sure those same people probably think a website just appears with no work at all.“MAGICALLY“.“ (Quelle)
Manch Spieler denkt wahrscheinlich, dass man einen Knopf drückt und das Spiel ist fertig. Tatsächlich ist für viele Menschen die Entstehung eines Spiels ein großes Mysterium. Das geht sogar so weit, dass mancher nicht weiß, dass Spiele an Computern gemacht werden. An diesen Geräten an denen wir täglich sitzen und mit dem du vielleicht sogar diesen Text liest. Tatsächlich sorgte dieser Screenshot von Grand Theft Auto V letztes Jahr (als GTA V noch nicht für PC angekündigt wurde) bei Fans für Spekulationen, dass womöglich eine PC-Version kommen mag. Weil im Bild ein übersehener Positionspfeil aus dem Entwickler-Tool sichtbar war. Ähm, okay?
Falsche Vorstellungen
„Everything – everything in game development was more difficult and complex than I thought. So now, when I play a third-person action game and a character’s model occasionally clips through things, I let that shit slide.“ (Quelle)
Sogar die, die sich beruflich mit Videospielen beschäftigen, haben ein falsches Bild von der Realität. Da wäre die berühmte YouTube-Persönlichkeit, die auf ihrem Kanal meckert, wie mies die PC-Version eines Spiels sei. Weil seiner Meinung nach die Entwickler alle doof und unfähig sind. Er kommt nicht auf die Idee, dass es ein Management gibt, welches schlechte Entscheidungen treffen kann oder für die Einhaltung eines Erscheinungsdatums schweren Herzens Fehler in Kauf genommen werden.
Es gibt auch den Menschen, der seit über zwanzig Jahren in der Branche arbeitet und ein Spiel in der Luft zerreißt, weil es später als versprochen erschienen ist. Ausgerechnet die Personen, die das Spiel finanziert haben, hatten Verständnis für die Verzögerung. Weil eben die Kommunikation seitens des Entwicklers offen und ehrlich war. Weil hier transparente Spiele-Entwicklung betrieben wurde mit einer exzellenten Doku-Serie (die übrigens nun Stück für Stück zum freien Ansehen auf YouTube veröffentlicht wurde).
„There’s no doubt that overscoping is a problem and there’s no doubt the responsibility is on Tim and his team. Here’s the deal, though: this is game development and some games are made with under half the budget, some are made that need double the budget. Double Fine set out to make a game with eight times the budget we had on some of our titles and suddenly had to re-scope when Kickstarter expectations were they were going to release a game that’s worth three million dollars. Instead of holding back, they are trying to give every single one of their backers the maximum amount of game for their money. […] I think it’s even more impressive that they communicate openly and honestly about these problems.“ (Quelle)
Tatsächlich wird im Triple-A-Bereich regelmäßig verschoben. Das jedoch regt den Konsumenten nicht auf, schließlich hat der große Publisher die Entwicklung bezahlt und nicht der Kunde. Oder wir kriegen Verspätungen schlicht nicht mit, geht uns ja nichts an.
Schöne, neue Kickstarter-Welt
Crowdfunding macht die problematischeren Aspekte der Herstellung nun sichtbar und der Konsument muss sich daran gewöhnen, dass eben nicht alles smooth abläuft.
„Rock Paper Shogun published this list of updates on high-profile game Kickstarters at the end of last year, noting how few had actually met their target dates or were providing transparent updates at all […] It’s not such an uncommon occurrence, as studios often (if not regularly) have to ask their publisher for more time and more money. Some backers and industry-watchers expect that, and others don’t. In any case, the conversation about Double Fine — it set the bar for Kickstarter plentitude and then had to ask for an adjustment of expectations — illustrates how unexpectedly complicated a proposition letting your fans be your funders, your publishers and your community all at once can be. […] One of the most frustrating elements of the often-uneasy relationship between developers, players and the press is the hard limit on process transparency — the media is very rarely allowed to access and share the elements of game creation that don’t go according to plans. The bigger a publisher is, the less likely it is anyone will ever know about a feature that got cut, or the time the project almost got cancelled, or the amount of money needed to complete it. Perhaps if the average person interested in backing and buying games understood more about the many-headed beast that is game creation, the Kickstarter relationship would be easier.“ (Quelle)
Selbst eine Firma wie Double Fine, die Transparenz lebt, kann auch in dem Bereich versagen: Die Entwicklung am Early-Access-Spiel Spacebase DF-9 wurde wegen mangelnder Verkäufe vorzeitig beendet. Die Spieler sind sauer. Die Reaktion hat einerseits mit dem noch für viele (sowohl Entwickler als auch Konsumenten) experimentellen Modell von Early Access zu tun, aber falsche Vorstellungen können ebenso ein Problem sein.
Auch wenn das Unternehmen noch so sympathisch sein mag: Es ist ein Unternehmen. Es muss Geld verdienen, um seine Angestellten bezahlen zu können. Wenn ein Produkt nicht genügend Umsatz bringt, dann muss sich auch ein Double Fine schweren Herzens von einen unfertigen Produkt trennen. Die Anthropomorphisierung von Firmen findet bei den Spiele-Fans immer noch viel zu oft statt. Eine ehrliche Kommunikation könnte vielleicht helfen ein realistischeres Weltbild zu formen. Um aus jPod von Douglas Coupland zu zitieren:
„Don’t discuss Sony like it’s a great big benevolent cartoon character who lives next door to Astro Boy. Like any company, Sony is comprised of individuals who are fearful for their jobs on a daily basis, and who make lame decisions based pretty much on fear and conforming to social norms — but then, that’s every corporation on earth, so don’t single out one specific corporation as lovable and cute. They’re all evil and greedy. They’re all sort of in the moral middle ground, where good and bad cancel each other out, so there’s nothing really there — which, in it’s own way, far darker than any paranoid or patriarchal theory of Sony.“
Ein Beispiel, in dem der Early-Access-Weg Hand in Hand mit transparenter Entwicklung funktioniert, ist Vlambeers Nuclear Throne. Sie streamen regelmäßig die Arbeit am Titel und zeigen somit den Interessierten, wie ihr Spiel entsteht. Da wird vor virtuellem Publikum programmiert, vorläufige Grafiken werden erstellt und Bugs gekillt. Und das Ergebnis ist dann als Beta-Version auch spielbar. Ein Projekt wie Rollercoaster Tycoon World hätte von so einer Offenheit profitiert und müsste nicht dem wütenden Mob beruhigen, der von der nicht fertigen Grafik in einem Trailer enttäuscht war.
Das liebe Geld
Ein weiteres Mysterium für den gemeinen Konsumenten sind die Finanzen, die die Entwicklung eines auch noch so kleinen Projekts verschlingt. Auch hier nehme ich wieder Double Fine als Beispiel, weil sie die von mir gewünschte Richtung vertreten. Sie waren zu ihren Crowdfunding-Unterstützern ehrlich und haben zugegeben, dass sie die finanziellen Ressourcen für Broken Age falsch eingeschätzt haben. Außerhalb des Kreises der Double-Fine-Unterstützer gab es jedoch Häme. American McGee verteidigte seinerzeit die Firma:
„You can’t complain about big publishers and their bad business models – highlighting all the times they’ve pushed overpriced, buggy, unfinished product onto the shelves in hopes of a quick buck. Then when an indie developer lays bare their business model and struggles, crucify them for taking risks and being honest. […] The games you play cost huge amounts of money to develop and market. Productions are insanely complex, which means there are many places where they can breakdown or fail. Outcomes aren’t predictable, so that money to fund these things is nearly impossible to come by. Simply put, this shit is hard.“ (Quelle)
Und doch versteht der Kunde, egal ob aufgeklärt oder nicht, falsch für was die Finanzen gebraucht werden. Das Geld ist nicht für ominöse Ressourcen aus denen fertige Spiele-Assets rauspurzeln, sondern für die arbeitenden Leute, die Geld brauchen um Essen, Wohnung und anderes bezahlen zu können. Entwickler sind keine Maschinen, die seelenlos Videospiele herstellen, sondern Menschen wie du und ich, die für deine Unterhaltung schuften.
„People don’t realize games are made by people.“ (Quelle)
„Do you think that you’re a pathological liar?”
Abgesehen von Finanzen muss Entwicklung auch darauf achten, wie transparent sie ist: Im Falle von Peter Molyneux letzten Projekt Godus war sie nicht verständlich genug. Zu spät wurden Änderungen kommuniziert, zu schlecht bis gar nicht hat man mit seiner Community geredet und sich gar in seinen eigenen Aussagen widersprochen.
Molyneux ist auch aus anderen Gründen ein Fall, in der besseres Verständnis einen Shitstorm hätte verhindern können. Hätte die Presse nicht unkritisch und ohne großes Hinterfragen seine enthusiastischen Hirngespinste jahrelang weiterverbreitet, würde man vielleicht heute nicht das Bild vom „notorischen Lügner“ Molyneux haben. Und es würde dann auch kein peinliches Interview von einen John Walker geben, der selber klingt als wüsste er nicht wie kompliziert die Entstehung eines Spiels sein kann.
Crowdfunding leidet auch darunter, dass es nun eine demokratische Finanzierungshilfe für Spiele-Projekte gibt, die es vorher so nicht gab. Das ist, genau wie Early Access, immer noch ein frisches Modell, das auf veraltete Vorstellungen der Konsumenten trifft. Es hilft, wenn man als Spieler das Prinzip Kickstarter nüchtern betrachtet: Das sind keine Vorbestellungen, keine Investition, man ist allerhöchstens Risikokapitalgeber. Es besteht immer die Chance, dass ein Crowdfunding-Produkt misslingen kann. Deal with it. So doof das auch klingen mag.
Transparente Spiele-Entwicklung hilft den Zorn des Publikums zu mindern. Der Spieler kann besser nachvollziehen wieso Fehler passieren können. Seine Caps-Lock-Taste bleibt ausgeschaltet und vielleicht, ja, vielleicht hilft es auch den Wert eines Spiels besser begreifbar zu machen. Wenn prominente Menschen auf ihren Social-Media-Kanälen begeistert 2048 spielen und nicht das Original Threes, dann ärgert mich das sehr (und freue mich dann aber gleich wieder in den Kommentaren Leute zu finden, die auf Threes hinweisen). Ein besseres Verständnis kann helfen, den Schaden von geklonten Spielen zu erkennen und obendrein offenbaren, wieso es besser ist, Geld für Spiele zu bezahlen, anstatt immer wieder in Free-To-Play-Fallen zu tappen.
Und wer weiß? Vielleicht motiviert eine offene Entwicklung sogar mehr Menschen selber Spiele zu machen. Es wäre wünschenswert.
Schöner Artikel mit vielen Aspekten! Die Erwartungshaltung der Backer beim Crowdfunding ist tatsächlich ein Problem, da gibt es immer noch viele Missverständnisse. Dass die beschissen-normative angloamerikanische Fachpresse sich ihrer Verantwortung oft nicht bewusst ist und Dramaqueens wie John Doe, äh, Walker diese Missverständnisse und Aufregungen eher aus- anstatt abbauen, ist ärgerlich.
Prinzipiell bin ich aber immer der Ansicht, dass es mir als Konsumenten wurscht sein darf, wie geplagt ein Dev und wie kompliziert nicht alles ist. Keiner wird gezwungen, Computerspiele zu machen bzw. Teil der Games-Industrie zu werden. Ein Kulturprodukt darf und soll an dem gemessen werden, was es ist und nicht, wie es entstanden ist. Ich überlege mir auch nicht, wie sehr ein Regisseur oder eine Autorin „leiden“ oder Menschen überzeugen musste, usw. Das ist alles interessant, wichtig und relevant, aber nicht im Moment der (journalistischen, konsumistischen) Rezeption.