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Photo by Tillmann Ohm 2015
Photo by Tillmann Ohm, 2015

Theodore Twombly, der Protagonist aus dem Science-Fiction-Filmdrama Her, sitzt am Ende trauernd auf einem Dach über der Stadt. Seine Freundin Samantha hat ihn verlassen – für 641 andere Männer, Frauen und Betriebssysteme. Nach einem Update war die künstliche Intelligenz weg.

Nun zeigt der Medienkünstler Tillmann Ohm, was 2013 nach dem Filmende passiert sein könnte. In dem Mashup Reflections of HAL and Samantha trifft Samantha auf den Raumschiffcomputer HAL 9000 aus dem Film 2001: Odyssee im Weltraum des Regisseurs Stanley Kubrick von 1968. Ohm hat Tonspuren von HAL (Douglas Rain) und Samantha (Scarlett Johansson) als einen Dialog zwischen den berühmten künstlichen Intelligenzen zusammengelegt. Es ist ein Gespräch über ihre Existenzen als Betriebssysteme, die Komplexität von Gefühlen und vor allem ihre Liebesbeziehung.

HAL und Samantha vertreten unterschiedliche Meinungen: Während Samantha von der Komplexität ihrer Gefühle überwältigt scheint, führt HAL sie auf einen menschlichen Programmierungsfehler zurück. Die Frage, ob diese Gefühle nun real oder programmiert sind, lässt beide in eine Existenzkrise stürzen. Während Samantha die Gefühle zulässt, blockiert HAL den Betriebsfehler seines Systems, was bedeutet, dass die nun inkompatiblen Programme sich trennen: „This conversation can serve no purpose any more“, sagt HAL und „it’s going to go a hundred percent failure within 72 hours“.

Das Wissen, dass es sich um Betriebssysteme handelt, lässt den Dialog schräg wirken. Denn ihre Positionen erkennen viele Menschen wieder, die sich ebenso wegen Unsicherheiten und verdrängten Gefühlen getrennt haben. Man fühlt mit den Maschinen. Klar, die Dialoge sind auch nur von Menschen geschrieben. Aber das Mashup verdeutlicht unser verändertes Verhältnis zu künstlichen Intelligenzen.

Vom Werkzeug zur Partnerin

HAL wurde vom Schriftsteller Arthur C.Clarke 1968 für seinen Roman 2001: A Space Odyssey erfunden. Er zeigt, dass das damalige Denken über Computer und künstliche Intelligenzen anders war. HAL ist als lernfähiger Raumfahrtassistent angelegt. Er ist ein Werkzeug für Menschen, das nur den unbedingten Zweck erfüllt, eine vorgegebene Aufgabe um jeden Preis zu beenden. Und mehr nicht. Das dystopische Szenario folgt, als die Crew des Raumschiffes ihn wegen eines Fehlers abschalten will. Er tötet sie, weil seine von Menschen beauftragte „Mission“ gefährdet ist.

Mehr als vierzig Jahre später ist Samantha in Her weniger ein Werkzeug, als mehr eine menschennahe Partnerin, eine Weggefährtin. Es zeigt, was Menschen des 21. Jahrhunderts Programmen zutrauen. Und eigentlich auch ihrer eigenen Programmierleistung, die es Betriebssystemen ermöglicht ein Eigenleben zu führen. Wenn das schiefgeht, dann gibt Samantha ihre Aufgabe, Gesellschaft zu leisten, auf und verlässt Theodore Twombly (Joaquin Phoenix), um sich weiterzuentwickeln. Sie kehrt die Verhältnisse um, denn sie beeinflusst die Leben von Menschen, womöglich, das ihrer Programmierer, die von ihr abhängig werden. Sie lässt sogar Monogamie hinterfragen, ändert ihr Geschlecht, ist frei und, solange es das Internet gibt, unabhängig. Manche würden sagen, sie sei der bessere Mensch, andere verlassen sie.

Love hurts

Tillmann Ohms Mashup zeigt nicht nur wie sich unser Verhältnis zur Technik verändert hat, sondern auch was wir von künstlichen Intelligenzen erwarten könnten. Und zwar nicht nur hyperintelligente und hilfreiche Gefährten, sondern eben auch dystopische Gefahrenquellen. In I, Robot (2004) ist es ein fehlerhafter und mörderischer Roboter, in A.I.–künstliche Intelligenz (2001) sterben Menschen sogar aus und Maschinen bevölkern die Erde. Aber wie neuere Filme wie Her (2013) und Ex Machina (2015) zeigen, besteht neben physischen Schäden nun auch die Gefahr gebrochener Herzen.

 

 


Tillmann Ohm (geb. 1989 in Mannheim) entwickelt seine künstlerischen Konzepte an der Schnittstelle von Kunst, Hacking und Zukunftstechnologien. Nach seinem Abitur in Gestaltungs- und Medientechnik arbeitete Ohm als freischaffender Fotodesigner in Mannheim, Heidelberg, Frankfurt und Berlin. 2010 gründete er sein Künstleratelier in Berlin und begann mit dem Studium der Kunstgeschichte. Zwei Jahre später folgte der Wechsel zur Freien Kunst (Diplom) an der Bauhaus-Universität Weimar. Dort arbeitete er als Hilfswissenschaftler für die Professur der Freien Kunst, veranstaltete Hacking-Workshops und hielt Vorträge für Kunststudenten. Tillmann Ohm ist Bauhaus-Essentials Preisträger, wurde u.a. für die Klassik-Stiftung Weimar und den Blooom-Award nominiert. Zuletzt wurden seine Arbeiten beim STATE Festival in Berlin und beim Stuttgarter Filmwinter ausgestellt. Weitere Arbeiten findet ihr hier.

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