Colonia Dignidad – Zweifel an der Menschlichkeit

Geht euch die Welt (inner- wie inter-nationale Politik, Terrorismus, der Gestank in der U6 oder verschmähte Liebe, um ein paar Schlagworte zu nennen!) auch manchmal so sehr auf die Nerven, dass ihr am liebsten irgendwo in eine einsame Höhle ziehen würdet und den Hut auf die ganze Scheiße werfen wollt?
Copyright: Majestic / Ricardo Vaz Palma
Copyright: Majestic / Ricardo Vaz Palma

Geht euch die Welt (inner- wie inter-nationale Politik, Terrorismus, der Gestank in der U6 oder verschmähte Liebe, um ein paar Schlagworte zu nennen!) auch manchmal so sehr auf die Nerven, dass ihr am liebsten irgendwo in eine einsame Höhle ziehen würdet und den Hut auf die ganze Scheiße werfen wollt?

Mir jedenfalls gefällt der Gedanke, mich – vielleicht mit einigen Vertrauten – irgendwo auf einem friedlichen Stückchen Land fernab von allem (vielleicht im Mühlviertel?) niederzulassen und selbst Tomaten, Gurken und Erdäpfel anzubauen. Es ist eine romantische Fantasie, der Wunsch nach Selbstbestimmung und ein Ausbruch aus dem Reglement der starren und doch schnelllebigen Gesellschaft. Ich weiß nicht, ob es solche Orte gibt, in denen alles glatt läuft, aber es gibt genügend bekannte Beispiele für das Scheitern jener Idee. Habt ihr von Jonestown gehört? Kennt ihr Danny Bolyes Film The Beach? In der sogenannten Kolonie der Würde („Colonia Dignidad“) in Chile ist ein solches Projekt ebenfalls gewaltig in die Hose gegangen. Davon erzählt uns der deutsche Regisseur und Oscar-Gewinner Florian Gallenberger im gleichnamigen Film mit Daniel Brühl (Rush), Emma Watson (Harry Potter, The Perks of Being a Wallflower) und Michael Nyqvist (original Millenium-Trilogie, 100 Code) in den Hauptrollen.

Geschichte als Grundlage

Kurz zur realen Geschichte und Grundlage des Films: Der Deutsche Paul Schäfer ist in den 60er Jahren aus Deutschland geflohen und gründete etwa 400 Kilometer südlich von Santiago de Chile eine 300 Quadratkilometer große Kolonie, wo er mit einigen Anhängerinnen und Anhängern eine fanatisch-religiöse Gemeinde aufbaute, in welcher er als eine Art Gottkaiser regierte. Männer und Frauen lebten getrennt, auf Feldern wurde hart gearbeitet, es gab Bespitzelung, Selbstschussanlagen und missbrauchte Kinder. Als ob das nicht genug wäre, gab es außerdem ein geheimes Bunkersystem unter der Kolonie, wo Schäfer für das Pinochet-Regime politische Gefangene folterte, wodurch er zu einem guten Freund der Diktatur wurde und so gewisse Sonderrechte in Chile genoss. Auch die deutsche Botschaft in Chile braucht sich auf Grund ihrer zweifelhaften und nicht aufgearbeiteten Rolle in der Geschichte nicht zu rühmen.

Copyright: Majestic / Ricardo Vaz Palma
Copyright: Majestic / Ricardo Vaz Palma

Ein Thriller im Kopf

Florian Gallenberger zeigt uns die Colonia Dignidad aber nicht als schmucklose Dokumentation. Um uns Einblick in die schrecklichen Geschehnisse zu ermöglichen, erzählt er eine fiktive Geschichte, um einen politischen Gefangenen (Daniel Brühl) und seine Freundin (Emma Watson), die ihn befreien will und sich dafür selbst in die Kolonie begibt. Erzählt wird das ganze als Thriller, der sich bedauerlicherweise oftmals in Genre-Tropen verliert. Darüber könnte man sich aufregen, nötig ist das aber nicht, denn letztendlich dient die Handlung nur als Ausrede, um durch die Colonia zu führen und den dortigen Lebensstil und die Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und auf dieser Ebene funktioniert Colonia Dignidad schauderhaft gut. Ohne allzu explizite Bilder zu zeigen, überträgt Gallenberger das Grauen in die Köpfe des Publikums. Erst in unseren Gedanken erschließt sich die komplette Tragweite dieser realen Tragödie.

Copyright: Majestic / Ricardo Vaz Palma
Copyright: Majestic / Ricardo Vaz Palma

I don’t wanna live on this planet anymore!

Neben der fiktiven Handlung, bei der sich Gallenberger einige künstlerische Freiheiten erlaubt, um die Erzählung zu straffen, dürfte ihm aber eine äußerst akkurate Darstellung des Schauplatzes und der Ereignisse gelungen sein, wie auch Überlebende bestätigen. Wer sich Colonia Dignidad zu Unterhaltungszwecken ansieht, bekommt nur einen spannenden, wenn auch klischeebelasteten Thriller, wobei die hervorragenden Schauspielerinnen und Schauspieler löblich zu erwähnen sind. Die wahre Größe entfaltet der Film aber als Zeitdokument, das wachrütteln will, das aufzeigen soll, das auf geschehenes und unaufgearbeitetes Unrecht hinweist und gleichermaßen als Mahnmal dient und hoffentlich zum Diskurs anregt! Fröhlich, mit einem guten Gefühl und gestärktem Vertrauen in die Menschheit lässt uns Colonia Dignidad allerdings nicht zurück.

Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück
Regie: Florian Gallenberger
Drehbuch: Torsten Wenzel, Florian Gallenberger
Cast: Emma Watson, Daniel Brühl, Michael Nyqvist
Musik: André Dziezuk, Fernando Velázquez
FSK 16, Laufzeit 110 Min; Starttermin (AT: 19.02.2016)

Written By
More from Jo Mayrhofer
Mirror’s Edge Catalyst – oder: Die Freude hält sich in Grenzen
Manche werfen EA vor, immer nur jährliche Updates erfolgreicher Franchises (Stichwort: Fifa)...
Read More
Leave a comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert