2016 in Musikvideos – Ein Jahresrückblick

Das Jahr 2016 ist natürlich auch an der Musikbranche und deren beliebter Werbeform, Musikvideos, nicht spurlos vorüber gezogen. Die Form des Musikvideos hat sich wieder weiterentwickelt und in einem Versuch, das ebenfalls angeschlagene Medium des Albums zu retten, wurde das Visual-Album konzipiert (dass bis jetzt nur Beyonce, Frank Ocean und Nick Cage produziert haben). Auch Lyric- und Dance-Videos erfreuen sich großer Beliebtheit. Das Musikvideo als Medium ist damit noch lange nicht tot. Hier gibt’s die ultimative Liste der großartigsten Musikvideos des Jahres 2016.

#20 The Avalanches – Because I’m me

2016 ist bekanntlich viel passiert, aber mit dem tatsächlichen Comeback der Avalanches nach 15 Jahren Funkstille haben sicher wenige gerechnet. Das Album Wildflower ist eines der besten Alben des Jahres und das Video zu „Because I’m me“ lässt einen sofort in Erinnerungen schwelgen. Das Video ist ähnlich angelegt wie ein typischer Avalanches-Song: man erkennt Versatzstücke aus anderen Videos, die große Stärke liegt im Mash-Up, also im Mixen von vorhandenen Ideen.

 

#19 Soft Hair – Lying has to Stop

Sicherlich die weirdeste Band, die 2016 ihr Debutalbum veröffentlich hat. Wenn man sich das Video ansieht, weiß man auch warum. Bei den beiden Musikern hinter diesem Projekt, das so klingt, als ob man beide im Hinterhof von Ariel Pink gezüchtet hätte, handelt es sich um Musiker, die eigenständig unter anderem als LA PRIEST und Late of the Pier bekannt waren. Nachdem die beiden durch diese Projekte scheinbar noch nicht ausgelastet sind, riefen sie kurzerhand Soft Hair ins Leben. Das Video ist definitiv eine Absage an die generische Gegenwartskunst- und Videos und fast schon eine Zelebrierung des Anders-sein. Anhand dieser Band sieht man, dass es noch eigenständige kreative Geister in LA gibt, die es zu einem Album und zu Videos schaffen können.

 

#18 Warpaint – New Song

Die Damen von Warpaint haben heuer wieder ein großartiges Album veröffentlich, mit dazugehörigen Musikvideos haben sie sich leider zurückgehalten. Zumindest zu ihrer ersten Singleauskopplung können wir die Damen in Eigenaufnahmen tanzen, essen, jonglieren etc. sehen. Und selbst in dieser Form verstehen sie es, ihren eigenen Stil durchzuziehen.

 

#17 Banks – Fuck with myself

Auch Banks hat heuer ein Album veröffentlicht. Und in ihrem neuesten Werk zelebriert sie wieder ihre eigene Sexualität. Das Video zu „Fuck with myself“ ist eine Empfehlung, weil es verstanden wird, die Stimmung des Songs audiovisuell aufzuarbeiten. Die Choreographie ist passend creepy, wie die Ausstattung und die Masken der Tänzerinnen. Banks selbst hat auch sichtlich kein Problem, nackt im Video zu performen. Ein Konzeptvideo, wie es sein soll.

 

#16 Appletree – Hallo

Noch bevor die 257er mit Holz das Internet bevölkert haben, wurde die Einkaufsshow-Ästhetik von den Wiener „Brodcutions“ in Zusammenarbeit mit den „Braingorillas“ in ein satirisches Video verpackt. Flo Bayer macht mit diesem Video klar, warum er einer der meistgebuchten Musikvideoregisseure Österreichs ist.

 

#15 Mura Masa – LoveSick ft. A$AP Rocky

Die A$AP Crew war in den letzten Jahren fast allgegenwärtig und gerade Rocky wurde in den letzten Jahren gefeatured wie kein zweiter. Tut dem Song auch ohne Frage gut. Das Video kann man als zeitgeschichtliches Dokument betrachten, das Jugendliche des Jahres 2016 bei, für sie alltäglichem, beobachtet. Das mag für viele kein Grund sein, sich das Video anzusehen, da sich Grundverhaltensnormen selten ändern, die Ästhetiken und Erkennungsmerkmale verändern sich allerdings beständig. Durch diese Form macht sich das Video unbewusst relevant.

 

#14 Beyonce – Sorry

Visual Albums waren dieses Jahr in aller Munde. Obwohl nur drei erschienen sind (Beyonce, Frank Ocean und Nick Cave), haben diese hohe Wellen geschlagen. Beyonces „Lemonade“ feierte auf HBO Premiere, womit dem Album als Kunstwerk eine neue Rolle angedacht wurde. Bestechend an „Sorry“ ist die Choreographie und die Bildsprache. Man ist bewusst weg vom Mainstream-Musikvideo-Look der vergangenen Jahre und versucht viel cineastischer und gleichzeitig viel symbolischer zu erzählen. Neben der Umdeutung des Albums wird auch unbewusst versucht, das „visuelle Album“ als neuen Avantgarde-Film zu etablieren. In diesem Fall funktioniert es fantastisch und lässt uns zuversichtlich kommende Visual-Albums erwarten.

 

#13 Blood Orange – Better than me

Dass Blood Orange Musikvideos schöne Choreographien beinhalten, ist wohl seit „You’re not good enough“ bekannt. Diese neue ist aber, was den Ausdruckstanz und die Choreographie betrifft, eine totale Eskalation. Ästhetisch ist dieses Video eine Zeitreise in die frühen 90er: weichgespülte Farben, Kameraeinstellungen wie in einem 90er Independent-Film (vor allem wenn Carly Rae Jepsen in den Fokus gestellt wird) – alles in allem: wunderschön.

#12 Miike Snow – Genghis Khan

Eines der wenigen groß produzierten Videos, die es geschafft haben nicht wie ein Relikt aus längst vergangenen Musikvideotagen zu wirken. Eine unterhaltsame Choreographie, Ausstattung wie in einem James Bond Film (an die Filmserie ist das Video auch ganz klar angelegt). Das Video gibt Bond-Filmen allerdings eine ganz neue Deutung. Ein Video das Spaß macht.

#11 Tesla Boy – Nothing

Tesla Boy hat schon öfters durch überaus kreative Videos bestochen. Dieses Video beinhaltet für mich die großartigste Musikvideochoreographie des Jahres. Die Hauptdarstellerin/Tänzerin legt eine fantastische Show hin und die erzählte Geschichte dazu macht traurig. Fantastisch! Solche Videos wünscht man sich öfter.

 

#10 Grimes x Hana – The Acid Reign Chronicles

Dass Grimes eines der größten Versprechen für die Musikwelt ist, wissen viele Musikafficianados seit ihrem 2012 Release „Visions“. Mit „Art Angels“ aus 2015 ist ihr ein noch größerer, dafür aber weitaus poppigerer Wurf gelungen. Ihr Anspruch ist leicht ersichtlich: auf do-it-yourself-Basis Dinge miteinander vermischen versuchen, die noch scheinbar nicht zueinander passen.

Die Acid-Reign-Chronicles sind eine 40-minütige Videoanthologie, bestehend aus Videos zu Songs von Grimes und Hana (ihre Tour-Vorsängerin). Hierfür wurde während der letzten Europatournee einfach mal, wo es ihnen gefiel, die Kamera ausgepackt und Guerillastyle wild drauf losgefilmt, getanzt und gesungen. Das Ergebnis lässt sich sehen, nicht nur für Grimes-Fans. Inszeniert wurde von Grimes (Claire Boucher) selbst, was den DIY-Look stärker erklärt.

 

#9 The Shins – Dead Alive

James Mercer III ist ein vielbeschäftigter als auch vielseitiger Musiker. Ist der letzte Albumrelease mit seinem Projekt Broken Bells noch gar nicht so lange zurück, versüßt er uns mit seiner eigentlich Band The Shins wieder die Tage. Das Video zur ersten Single „Dead Alive“ spielt mit Technologiekritik, ist aber vor allem wegen der Kameratricks und dem Spiel mit Perspektiven und der dafür entworfenen Ausstattung ein Augenschmaus.

 

#8 Foxygen – Follow the Leader

Das nennt man funktionierendes Konzeptvideo. Die Choreografie funktioniert hier ganz im Stil des Songtitels: „Follow the leader“. Heißt: Frontman Sam France kennt die Choreografie, alle im Hintergrund sollen ihn möglichst nachmachen. Das führt zu großartigen Figuren und Bewegungen. Musikalisch bewegt man sich zwischen Soul und Rock, ästhetisch erinnert das Video an einigen Stellen an 70er Kunstfilme. Ein gelungenes und unterhaltsames Konzeptvideo.

 

#7 Charli XCX ft. Lil Yachty – After the Afterparty

Mir persönlich ist es ein Rätsel, warum Charli XCX nicht als die Pop-Queen der Gegenwart gilt. Seit ihren ersten Songs beweist die Frau ein unglaubliches Gespür für Hooks, Refrains und Rhythmen. Dazu kommt, dass ihre Videos ebenfalls erfüllen, was ein Video erfüllen soll (man erinnere sich an „Doing it“ mit Rita Ora). „After the Afterparty“ mag nicht ihr bester Song sein, aber es handelt sich hier um ihr bestes Video bis zu diesem Punkt. Hauptsächlich deshalb, weil sich das Video durch seinen Look billiger macht, als es ist. Die Entscheidung für 4:3 und billigste Beleuchtung würden das auch nahelegen. Die Ausstattung und das Make-Up dieses Videos sind allerdings beachtlich, die Inszenierung macht sich daraus allerdings einen großen ironischen Spaß. Genau das, macht dieses Video auf verschiedenen Ebenen aus.

 

#6 Francis and the Lights – Friends

In diesem Jahr ist Francis and the Lights neues Album Farewell, Starlite erschienen und es klingt bei weitem elektronischer als alles bisherige von ihm. Das Video zur ersten Singleauskoppelung ist eine minimalistische Sensation. Francis tanzt zuerst voller Energie durch den Studioraum, dann mit Bon Iver. Und Kanye steht auch im Studio herum, because why not. Ein gut inszenierter und überlegter One-Shot.

#5 Mitski – Your best American Girl

Die erste Songauskoppelung zu ihrem vierten Album Puberty 2 ist an sich schon eine Wucht. Das Video legt allerdings noch einen drauf. Es verhält sich ähnlich minimalistisch wie Francis and the Lights, bedient sich allerdings keiner Plansequenz. Die Kritik am Liebes-Lifestyle von Millenials hätte gar nicht treffender in Szene gesetzt werden können.

#4 Wiener Blond – Süßer

Nach dem grandiosen Video zu „Kaana waas warum“ jetzt das nächste visuell hypnotische Video. Und das ist definitiv eines der weirdesten Videos der letzten Jahre. Zuckerguss, eine Schlange und tanzende Tote in der Autopsie. Man muss es sehen, um den Zusammenhang zu verstehen. Ein Zuckerstück, im wahrsten Sinne des Wortes.

#3 Shura – What’s it gonna be

Videoregisseur Canada hat uns letztes Jahr mit Tame Impalas „The less i know the better“ das beste Video beschert. Dieses Jahr ist er weniger abstrakt unterwegs, zeigt uns aber dafür viel offensichtlicher seine Liebe zu John Hughes coming-of-age-filme (wer hiervon keine Ahnung hat…shame on you!) – allein die Shermer-High School-Referenz sollte Jugendfilmafficianados ein Begriff sein. Auch der Twist gegen Ende ist zeitgemäß süß und herzerwärmend.

#2 Frank Ocean – Nikes

Eigentlich sollte hier das Visual-Album Endless stehen, da dies aber ausschließlich auf Apple-Music (und wer hat das denn schon) zu streamen ist, gibts an dieser Stelle das nicht minder großartige Video zu „Nikes“, dem Einstiegstrack zu Frank Oceans großartigem Album Blonde. Das Video ist reich an Symbolismus und vor daher für jeden Rezipienten etwas anderes bedeuten. Ein Großteil der Bilder suggeriert aber eine künstlerische Reflexion auf das Leben als marginalisierte Person in den USA. Bildgewaltig, vielschichtig, wunderschön.

 

#1 Kanye West – Famous / Fade

Ein einziges Video reicht hier nicht aus. Kanye hat ohne Frage ein Kanye-würdiges Jahr mit vielen Ups und Downs hinter sich, doch muss man sagen, dass er künstlerisch on the top of his game war. Life of Pablo ist ein künstlerischer Wurf, der Musikern dieses Formats in einer Seltenheit passiert. Die beiden Videos „Famous“ und „Fade“ sind die dazu passenden visuellen Versatzstücke. Beide Videos kann man getrost als Meisterwerke bezeichnen.

„Famous“ zeichnet sich durch die Videoästhetik und die damit implizierte Peeping-Tom-Ästhetik aus. Wir, als ‚normales Fußvolk‘ sind fasziniert und teilweise obsessed mit den im Video gezeigten Persönlichkeiten. Diese Faszination geht so weit, dass man selbst Footage von diesen Personen in schlafender Form ansehen würde. Kanye spielt hier mit dem Voyeurismus der Gesellschaft und hält uns hier einen Spiegel als auch den Mittelfinger vor. Ganz große Kunst (und am Ende läuft „Father stretch my hands“ – einer der besten Songs auf Life of Pablo).

„Fade“ spielt hier nochmals in einer anderen Liga. Das Video nimmt eindeutige Referenzen an Fitnessvideos der 1980er Jahre (man erinnere sich an Jane Fonda) und mit der Beleuchtung an Softpornos dieser Dekade. Teyana Taylor tut mit ihrer Choreographie ihren Teil um exakt diese Referenzen zu verstärken. Eine großartiger Hybrid aus Erotik und Ästhetik. Allein aufgrund dieses Videos (und auch aufgrund dieses Songs, was für ein Beat!!) kann man Kanye schon Kanye sein lassen.

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